Schon aufgrund ihrer Größe und Marktmacht trägt die Textilindustrie eine besondere Verantwortung für Mensch und Umwelt. Allein der Fashion-Sektor beziffert sich auf einen Wert von 3,45 Billionen Dollar (2021), der der technische Textilien auf rund 198 Mrd. US-Dollar (2020). Weltweit arbeiten mehr als 60 Millionen Menschen in der Textil- und Bekleidungsbranche – und zwar vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Bürde ist daher ungleich verteilt. So entstehen die meisten Belastungen und Auswirkungen, die durch den Verbrauch von Bekleidung, Schuhen und Heimtextilien in Europa verursacht werden, nicht vor Ort, sondern in den Regionen, wo der Großteil der Produktion stattfindet. Dies gilt für 85 Prozent des Primärrohstoffverbrauchs, 92 Prozent des Wasserverbrauchs, 93 Prozent des Flächenverbrauchs und 76 Prozent der Treibhausgasemissionen.
Insgesamt gelten Textilien als die viertgrößte Ursache für Umweltbelastungen und ihre Industrie leistet den fünftgrößten Beitrag zu den globalen CO2-Emmissionen. Es gibt also viele gute Gründe für eine Transformation in Richtung soziales Engagement und Nachhaltigkeit.
Die Zeit läuft
Und diese ist in vollem Gange, seit die Vereinten Nationen (UN) im September 2015 die Agenda 2030 und die Sustainable Development Goals (SDGs) verabschiedet haben. Die 17 Ziele reichen vom Kampf gegen Armut und Hunger über die Förderung von Bildung und Gleichberechtigung für alle bis zu nachhaltigem Wirtschaften und technologischer Innovation.
Gesetze und Sanktionen sieht das Papier nicht vor. Vielmehr gilt der Grundsatz einer freiwilligen, wirksamen, partizipatorischen, überparteilichen und integrierten Regelung.
Ziel für Ziel. Schritt für Schritt.
Freiwillig und wirksam. Auch wenn – oder gerade, weil – die Textilindustrie vor besonderen Herausforderungen steht, lohnt sich der Blick auf die Unternehmen, die sich sichtbar für die Erreichung der SDGs einsetzen. Ihre Wege sind unterschiedlich. Was sie eint, ist die Art und Weise der Umsetzung, nämlich Ziel für Ziel und Schritt für Schritt.
So wie das italienische Unternehmen Pozzi Arturo Spa. Margherita Rigamonti, Textile Sales Managerin bei Pozzi Arturo, erläutert im Gespräch den Ansatz: „Unser Unternehmen hat sich der Verfolgung der Ziele für nachhaltige Entwicklung verschrieben, um sicherzustellen, dass alle unsere Praktiken sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltig sind. Wir haben dafür ein starkes Engagement entwickelt und mehrere Initiativen umgesetzt.“
Der Hersteller von Textilien für den Heim-, Outdoor- und Objektbereich konzentriere, sich gezielt auf einige der SDGs und freue sich über wichtige Etappenziele: Auf das „SDG 7 - Energie“ etwa zahlt die neue Photovoltaikanlage ein. Zusammen mit der bereits installierten Anlage liefert sie genug Energie, um bis zu 60 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien zu decken. Um den Wasser-Fußabdruck zu reduzieren (SDG 6 - Wasser), wurde die Implementierung eines neuen Filtersystems untersucht. Dieses bereitet die bei der Textilveredelung anfallenden Abwässer auf und reinigt sie zu 90 Prozent, so dass sie wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden können. Und im Hinblick auf das „SDG 9 – Innovation/Infrastruktur“ hat das Unternehmen in das Thema „Smart Industry“ investiert. Hierin wurden Prozesse automatisiert und Maschinen in Managementsysteme für Echtzeitinformationen integriert. Mit diesen Maßnahmen will Pozzi Arturo sowohl Produktivität als auch Effizienz steigern und sicherstellen, dass die Abläufe den neuesten Industriestandards entsprechen.
Ganzheitliches Konzept
Auch das Textilunternehmen Alfred Apelt GmbH setzt sich ambitionierte Nachhaltigkeitsziele und engagiert sich zu deren Umsetzung. Als Richtlinie bezieht sich der Textilhersteller auf den „Code of Conduct der deutschen Textil- und Modeindustrie“, die der Gesamtverband textil+mode und der Handelsverband Deutschland (HDE) herausgegeben haben. Dieser Verhaltenskodex wurde unter Einbeziehung von Textil-und Handelsunternehmen auf die Belange und die Bedürfnisse der Textilindustrie formuliert. So bildet er die „Lebensrealität“ von Textilunternehmen in ihrer ganzen Bandbreite ab, betont Sebastian Ihling, Sales Manager und Business Development bei Apelt.
Das familiengeführte Unternehmen fertigt in Deutschland und Europa. Dabei hat es nach eigenen Angaben den Anspruch, die neuesten Techniken und Entwicklungen in die unterschiedlichen Herstellungsstufen zu integrieren. In der Lieferkette setzt Apelt auf verlässliche und nachvollziehbare Quellen. Das in den Jacquardstoffen eingesetzte NEW LIFETM Garn aus 100 Prozent recycelten PET-Flaschen bezieht Apelt von einem festen Partner in Italien. Sebastian Ihling erläutert, mit welchen zusätzlichen Maßnahmen das Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit verfolgt: „Unsere Druckstoffe werden im umweltschonenden Digitaldruckverfahren in Europa hergestellt. Im Gegensatz zum Nassdruck spart der Digitaldruck ca. 80 Prozent Wasserverbrauch ein. Unser Partner ist auf dem Weg zu einer klimaneutralen Produktion und wird dabei von uns unterstützt. Dazu gestalten wir über unsere europäischen Betriebs- und Produktionsstätten die Herstellungsprozesse, die Transportwege und den Vertrieb so effektiv, kurz und klimafreundlich, wie es die Wirtschaftlichkeit erlaubt.“
Neben dem verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen richtet Apelt seinen Blick auch auf den Nachwuchs, die Region und die Gesellschaft. Sebastian Ihling erläutert den Ansatz:
„Wir verstehen Unternehmertum als ein ganzheitliches Konzept. Und da gehören für uns nicht nur die Herstellung und der Vertrieb von hochwertigen Textilien für die Inneneinrichtung dazu, sondern die ganze Spanne der sozialen Verantwortlichkeit, die für uns als mittelständisch-familiengeführtes Unternehmen leistbar ist.“
So setzt Apelt auf Ausbildung, betreibt und unterstützt soziale Engagements am Standort Oberkirch und hat seit 2011 ein Pilotprojekt mit der Lebenshilfe Offenburg zur erfolgreichen Inklusion behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt.
Wertvolle Leuchttürme
Weltweit finden sich ermutigende Beispiele, wie das Prinzip der Selbstverantwortung und Freiwilligkeit funktioniert. Darunter auch das türkische Unternehmen Vanelli Tekstil, das seine SDGs auf vielfältige Weise umgesetzt. Dazu gehören Energieeffizienz, Recycling-Produkte, Wassereinsparung, Luftreinigung und das Aufforsten von Wäldern. Der Hersteller zeigt unter anderem, dass auch sehr einfach umzusetzende Maßnahmen große Effekte erzielen können: Allein der Wechsel zu stromsparenden LED-Leuchten hat den Energieverbrauch um rund 80 Prozent vermindert.
Die österreichische Lenzing Gruppe ist einer der älteren Leuchttürme der Branche. Schon früh hat der Erzeuger holzbasierter Zellstoffe und Fasern das Thema Nachhaltigkeit in seiner Unternehmensstrategie als maßgeblichen Innovationstreiber definiert und gehört heute zur Avantgarde für nachhaltige Herstellung und Kreislaufwirtschaft. Das Bekenntnis zahlt sich aus: Lenzing hält derzeit rund 1.280 Patentanmeldungen und Patente aus 215 Patentfamilien fast 50 Ländern, darunter Methoden, bei denen Baumwoll-Zuschnittreste aus der Bekleidungsherstellung sowie Alttextilien wieder zu Fasern verarbeitet werden können.
Die spanische Francisco Jover AG hat den Umweltschutz seit Gründung fest in ihrer Firmenphilosophie verankert und auf regenerative Energien gesetzt, als sie damit noch Exoten waren. Heute arbeitet Jover weitgehend autark, erzeugt den meisten Strom selbst, reinigt Abwasser in der hauseigenen biologischen Reaktor-Kläranlage und recycelt 100 Prozent der Kunststoff-, Papier- und Kartonabfälle. Dafür 2019 wurde Jover mit dem AITEX Sustainability Award ausgezeichnet.
Ein Leuchtturm mit großer gesellschaftlicher Signalwirkung ist das indische Unternehmen Aauraa Home Fashion. Der Heimtextilhersteller kommuniziert drei wesentliche Säulen seiner Unternehmensstrategie. Dazu gehören eine zeitgemäße Infrastruktur mit einem hoch effizienten ERP-System und eine nachhaltige Produktion nach dem Prinzip „Reduce, Reuse, Recycle“. Der dritte zentrale Wert von Aauraa Home Fashion stellt die Förderung von Frauen dar. Diese umfasst eine staatlich zertifizierte Ausbildung, die Beförderung in verantwortungsvolle Positionen und ein spezielles Frauengesundheitsprogramm. Treiberin ist Nirmal Mirza, Director Marketing & Product Development des Unternehmens. Mit über 30 Jahren Branchenerfahrung gilt sie als eine Vorreiterin in der Branche. So war sie unter anderem eine der ersten asiatischen Frauen, die in den 1980er und 1990er Jahren Teams auf internationalen Heimtextilmessen leitete und Ämter als Präsidentin und Ausschussmitglied verschiedener Organisationen und NROs bekleidete. Ihr visionärer Ansatz gilt als Schlüsselfaktor für das Wachstum von Aauraa Home Fashion.
Nach vorne sehen. Anpacken!
Beispiele wie diese machen Hoffnung. Es gilt also: Nach vorne sehen und weiter geht es in Richtung SDGs! Der Textilindustrie helfen dabei unter anderem globale Netzwerke wie das „Texpertise Network“ der Messe Frankfurt. Mit der geballten Innovationskraft von mehr als 50 weltweiten Messen und Events, setzt Texpertise gezielt Impulse für die gesamte textile Wertschöpfungskette. In Zusammenarbeit mit dem United Nations Office for Partnerships und mit Unterstützung des Conscious Fashion and Lifestyle Network bietet Texpertise dem Textil- und Modesektor Wissen, Plattform, Netzwerk und zahlreiche Events mit dem Fokus, den sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Wandel umzusetzen. Wissen, Austausch und Praxiserfahrungen für die Heimtextilbranche geben die Messen für Interior & Contract Textiles wie die internationale Leitmesse Heimtextil, die jährlich im Januar in Frankfurt am Main stattfindet.
Titelbild: Alfred Apelt GmbH