Bei der Bewertung der Umweltleistung der textilen Wertschöpfungskette spielen Prozesszertifizierungen eine wichtige Rolle. Ziel solcher Zertifikate ist es, die Nachhaltigkeitsleistungen bei der Herstellung und Verarbeitung von Textilien anhand verlässlicher Standards messbar und vergleichbar zu machen.
Die Zertifizierungen umfassen Aspekte wie die Reduktion von Luftverschmutzung und CO2-Emissionen, den Einsatz energieeffizienter Technologien, die Optimierung des Wasserverbrauchs, die Begrenzung schädlicher Chemikalien sowie die Förderung von Recycling und Abfallmanagement. Internationale Standards wie die ISO 14001 für das Umweltmanagement und der Branchenstandard Zero Discharge of Hazardous Chemicals (ZDHC) für Chemikalien sind wichtige Wegbereiter für mehr Nachhaltigkeit in der Textilindustrie. Auch zahlreiche privatwirtschaftliche Labels wie OEKO-TEX® STeP für die nachhaltige Produktion, amfori BEPI (Business Environmental Performance Initiative) für verbesserte Umweltleistungen oder bluesign® für die Optimierung umweltfreundlicher Produktionsprozesse und Chemikalieneinsätze haben sich etabliert und tragen dazu bei, die ökologischen Auswirkungen der Textilindustrie zu reduzieren.
Nachhaltige Prozesse in der Praxis
Mit OEKO-TEX® STeP können beispielsweise einzelne Prozesse in Textilunternehmen hinsichtlich ihrer ökologischen Performance bewertet werden. Dies ermöglicht unter anderem die Berechnung des Wasser- und CO2-Fußabdrucks betrieblicher Prozesse. Anhand der Ergebnisse können Produktionsstätten gezielt Maßnahmen zur Reduzierung wasser- oder CO2-intensiver Prozesse einleiten.
Ein weiteres Beispiel ist die Nutzung geschlossener Wasserkreisläufe durch Membranfiltration, die in Verbindung mit den ZDHC-Abwasserrichtlinien als umweltfreundlich anerkannt ist und die Rückgewinnung von Wasser, Chemikalien und Farbstoffen aus der Textilproduktion ermöglicht. Ein drittes Beispiel ist die enzymatische Behandlung von Textilien, die von Zertifizierern wie bluesign® als nachhaltige Alternative zu chemischen Verfahren eingestuft wird, da sie mit biologischen Katalysatoren arbeitet, die den Einsatz von Chemikalien reduzieren helfen.
Die Qual der Wahl
Doch der Zertifizierungsmarkt wird zunehmend unübersichtlicher. So identifizierte eine EU-Studie aus dem Jahr 2020 allein 230 Nachhaltigkeits- und 100 „grüne“ Energielabel1 mit unterschiedlichem Transparenzniveau. „Viele davon betreffen auch die Textilindustrie“, sagt Katja Hetzer vom Forschungsinstitut Hohenstein. „Gerade für mittelständische Unternehmen wird das zunehmend zur Herausforderung.“ Hohenstein gilt als international renommierte Institution im Bereich Prüfung, Zertifizierung und Forschung von Textilprodukten, ist Gründungsmitglied der OEKO-TEX®-Gemeinschaft und nach eigenen Angaben deren größter Zertifizierungsanbieter.
„Für einige Unternehmen ist die Situation so unübersichtlich, dass sie gezielt bei uns nachfragen, was welches Label abdeckt und ob es dieses in Zukunft überhaupt noch geben wird.“
Die Unübersichtlichkeit rührt auch daher, dass sich die Zertifikate nicht nur in ihrem Geltungsbereich, sondern auch in ihrer Reichweite unterscheiden – während einige nur einzelne textile Produktionsschritte berücksichtigen, decken andere die ganze Wertschöpfungskette ab. Damit fehlt ein einheitlicher Rahmen für die Bewertung und Vergleichbarkeit textiler Nachhaltigkeitsleistungen.
„Wir können nicht alle Zertifikate machen“
Petra Schweigert, Geschäftsführerin der Oberbadischen Bettfedernfabrik (OBB), beschreibt das Dilemma stellvertretend für viele mittelständische Textilunternehmen: „Wir haben schon immer großen Wert auf Nachhaltigkeit gelegt und dies auch mit Zertifikaten belegt. Aber die wachsende Zahl, der damit verbundene Verwaltungsaufwand und die steigenden Kosten der verschiedenen Siegel zwingen uns inzwischen dazu, Prioritäten zu setzen – bis zu dem Punkt, dass wir nicht mehr alle machen können, obwohl wir sie erfüllen würden.“
Ein weiteres Problem sei, dass mittelständische Betriebe genauso zertifiziert würden wie große Unternehmen. „Mit 15 Leuten in der Verwaltung können wir aber nicht dasselbe leisten wie ein Konzern mit einer eigenen Nachhaltigkeitsabteilung“, betont die Geschäftsführerin. Wenn aber Aufwand und Kosten einer Prozesszertifizierung gerade diejenigen abschrecken, die die Anforderungen eigentlich erfüllen würden, ist das ein Problem.
Weniger Standards, mehr Wirkung
Inzwischen hat daher ein Prozess der Weiterentwicklung und Überarbeitung der Umweltstandards begonnen. Neue EU-Vorgaben wie die „EmpCo-Richtlinie“ und die „Green Claims“-Verordnung sollen künftig strengere Regeln für Umweltaussagen und Nachhaltigkeitssiegel schaffen. Getreu dem Motto „Weniger ist mehr (Nachhaltigkeit)“ zielen sie darauf ab, die Anzahl der Umweltlabel zu reduzieren. Während die „EmpCo-Richtlinie“ allgemeine Umweltaussagen ohne Zertifizierung verbietet, lässt die „Green Claims“-Verordnung neue privatwirtschaftliche Standards nur noch dann zu, wenn diese einen Mehrwert gegenüber bestehenden Labels bieten.
Für Hohenstein-Beraterin Katja Hetzer ist klar: „Das wird die Nachhaltigkeitskommunikation und die Label-Landschaft grundlegend verändern.“ Denn fundierte und überprüfbare Umweltstandards schafften mehr Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit für Konsument*innen und Unternehmen. Gleichzeitig, so Hetzer, eröffne der digitale Wandel neue Chancen. So werde der geplante digitale Produktpass, der auch auf Erfahrungen mit etablierten Labels aufbaut, die Nachhaltigkeitsdaten entlang der Lieferkette besser erfassen und für die Verbraucher*innen leichter zugänglich machen. Neben der Digitalisierung und den neuen EU-Vorgaben werden laut Hetzer aber auch etablierte Zertifikate als Monitoring-Tools für textile Produktionsprozesse weiterhin Bestand haben: „Sie wurden eingeführt, um verlässliche Standards zu schaffen und Nachhaltigkeitsleistungen messbar zu machen – das tun viele von ihnen nach wie vor sehr gut.“
„Nachhaltigkeit in der Textilindustrie hat sich von einem Marketinginstrument zu einer Notwendigkeit entwickelt. Einkäufer*innen interessieren sich deutlich stärker als früher für den ökologischen Fußabdruck von Produkten und fordern mehr Transparenz in der Lieferkette.“
Prozessstandards
ISO 14001 Die internationale Norm ISO 14001 für Umweltmanagementsysteme unterstützt Unternehmen dabei, ihre Umweltleistung systematisch zu verbessern - von der Reduzierung von Abfällen und Emissionen bis hin zur effizienteren Nutzung von Ressourcen.
HIGG FEM Das HIGG FEM (Facility Environmental Module) der „Sustainable Apparel Coalition“ bewertet die Umweltleistung von Produktionsstätten. Der Nachhaltigkeitsstandard analysiert zentrale Umweltaspekte wie Energieverbrauch, Wassernutzung, Abfallmanagement, Chemikalieneinsatz und Treibhausgasemissionen.
ZDHC
ZDHC (Zero Discharge of Hazardous Chemicals) ist eine globale Multi-Stakeholder-Initiative mit dem Ziel, gefährliche Chemikalien aus der textilen Lieferkette zu eliminieren. Das Programm fördert einheitliche Standards, effektives Chemikalienmanagement und nachhaltigere Produktionsprozesse.
Key Learnings
Bedeutung von Prozesszertifizierungen Umweltzertifikate sind entscheidend für die Messbarkeit und Vergleichbarkeit von Nachhaltigkeitsleistungen in der Textilindustrie.
Herausforderungen durch unübersichtliche Zertifikatslandschaft Der Zertifizierungsmarkt ist komplex, vor allem für mittelständische Unternehmen, und verbunden mit einem hohen Verwaltungsaufwand und Kosten.
Zukunft der Umweltstandards und Digitalisierung Neue EU-Vorgaben wie die „EmpCo-Richtlinie“ und die „Green Claims“-Verordnung sowie der digitale Produktpass sollen die Nachhaltigkeitskommunikation vereinfachen.
„Texpertise Econogy Insights“
Die aktuellen „Texpertise Econogy Insights“ geben Antworten auf Fragen wie: Welche SDGs sind in der Branche besonders relevant? Was sind die Top 5 Transparenz-Standards? Wie stehen sich Naturfasern und synthetische Fasern gegenüber? Welche Prozessstandards sind am weitesten verbreitet? Wo steht die Branche in Sachen Textilrecycling?
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Titelfoto: Marcelo Solis / pexels
1 European Commission online, Green Claims. Stand Redaktionsschluss: Die Europäische Kommission und der Europäische Rat beraten derzeit, ob und wie die aktuelle Fassung der Green Claims-Verordnung in Kraft tritt.