Farben aus Mikroben: Neue Wege für die Textilindustrie
29.07.2025
In einem Londoner Labor entsteht ein faszinierender Gegenentwurf zur klassischen Textilfärbung. Statt synthetischer Chemie setzen die Gründer*innen von Post Carbon Lab auf Mikroorganismen – und eine klare Mission: Farbstoffe aus CO₂ herstellen.
„Wir sind Post Carbon Lab. Und wir verwandeln Kohlendioxid in Farben”, bringt es Mitgründerin Dian-Jen Lin auf den Punkt. Die Idee klingt einfach – CO₂ mit Hilfe von Cyanobakterien und Mikroalgen in Pigmente umwandeln. Doch hinter dem Konzept steckt jahrelange Forschung und ein System, das gezielt für den Einsatz in urbanen Regionen entwickelt wurde: modular, ressourcenschonend, skalierbar.
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Eine biobasiertes System – vom Labor in die Praxis
Der Entwicklungsprozess beginnt dort, wo viele Innovationen starten – mit Experimenten und viel Geduld. Post Carbon Lab hat verschiedenste Mikroorganismen untersucht, die im britischen Klima gedeihen. Im Fokus: ihre Farbe, ihre Lebensbedingungen, ihr Ressourcenbedarf. Nur die robustesten Kandidaten schaffen es in die nächste Phase – die industrielle Kultivierung in einem geschlossenen Kreislaufsystem, das Wasser spart und keine empfindlichen Ökosysteme belastet.
Diese Farbstoffe sind mehr als nur Pigmente. Sie enthalten bioaktive Moleküle, die sich in Textilien und Polymere einbinden lassen – ohne petrochemische Zusätze. Damit unterscheidet sich der Ansatz deutlich von vielen anderen im Bereich biobasierter Farben, die oft doch noch fossile Komponenten einsetzen. „Wir verwenden keine petrochemischen Inhaltsstoffe im Prozess”, betont Lin.
Zwischen Pionierarbeit und Produktionsrealität
Doch die Realität in der Industrie ist komplexer. Viele Hersteller arbeiten mit hochautomatisierten Systemen, die auf synthetische Farben abgestimmt sind – präzise Dosiersysteme, digitale Farbdatenbanken, standardisierte Prozesse. Hier passen biologische Farben nicht ohne Weiteres hinein.
„Der größte Teil der Färbe- und Verarbeitungsinfrastruktur in UK ist für synthetische Farben ausgelegt”, erzählt Lin. Es brauche Zeit, Offenheit – und Pilotprojekte. Gemeinsam mit wenigen aufgeschlossenen Betrieben testet Post Carbon Lab, wie sich die Farben in existierende Prozesse integrieren lassen. Erste industrielle Anwendungen laufen bereits, mit Partien von bis zu 500 Metern am Tag. Doch der große Durchbruch hängt nicht nur an der Technologie, sondern auch an der Kooperationsbereitschaft entlang der Lieferkette.
Ein Färbeprozess mit positiver Klimabilanz
Was die mikrobielle Färbung besonders macht, ist ihr ökologischer Fußabdruck. Der Herstellungsprozess ist CO₂-negativ – die Mikroorganismen binden mehr Kohlenstoff, als im gesamten Verfahren freigesetzt wird. Auch der Wasserverbrauch ist deutlich geringer: Bis zu 97 % weniger im Vergleich zu herkömmlichen Färbemethoden.
Das Ergebnis: Farben, die nicht nur optisch überzeugen, sondern auch den Anforderungen einer nachhaltigeren Industrie gerecht werden. Ohne Toxine, ohne fossile Rohstoffe, aus vollständig erneuerbaren Kohlenstoffquellen.
Farben ohne Toxine, ohne fossile Rohstoffe, aus vollständig erneuerbaren Kohlenstoffquellen. Foto: Post Carbon Lab
Neue Wege, neue Möglichkeiten
Obwohl der Fokus klar auf Textilien und Polymeren liegt, interessieren sich bereits andere Branchen für die mikrobielle Farbtechnologie. Anfragen kommen auch aus der Kosmetik- und Interior-Welt – von Wandfarben über Holzlasuren bis hin zu Bettwäsche.
Doch Post Carbon Lab geht es nicht um schnelles Wachstum, sondern um Partnerschaften mit Substanz. „Wir entwickeln und produzieren gemeinsam mit unseren Partnern“, sagt Lin. Nur so lasse sich sicherstellen, dass neue Prozesse nicht nur technisch funktionieren, sondern auch den Anforderungen in der Praxis standhalten – und sich verlässlich skalieren lassen.
„Wir entwickeln und produzieren gemeinsam mit unseren Partnern.“
Innovation, die auf Zusammenarbeit baut
Post Carbon Lab steht exemplarisch für eine neue Generation nachhaltiger Akteure in der Textil- und Polymerindustrie. Der Weg in eine umweltfreundlichere Zukunft führt nicht allein über neue Technologien, sondern über Zusammenarbeit, Offenheit und einen Blick über den Tellerrand. Wer bereit ist, diesen Weg mitzugehen, findet in mikrobiellen Farben mehr als nur eine Alternative, sondern ein echtes Potenzial für Veränderung.