Harte Zeiten für hehre Ziele
Beispiele wie die aus dem ersten Teil unserer Serie machen Hoffnung. Aber es gibt auch Rückschläge zu verzeichnen. Seit die SDGs 2015 verabschiedet wurden, sollen regelmäßige Jahresberichte eigentlich die jeweiligen Erfolge dokumentieren. Der SDGs-Bericht 2022 zeigt jedoch, dass die Entwicklung weder schnell genug noch in allen Belangen aufwärts geht. Vor allem der toxische Mix aktueller Gesundheits-, Sicherheits-, Energie-, Klima- und Finanzkrisen hat in Teilen zu einer Umkehrung der Fortschritte bei den SDGs geführt.
Insgesamt, so betont der Bericht, erlebt die Welt die höchste Zahl von Konflikten seit der Gründung der Vereinten Nationen. Der Europäische SDGs-Report 2022 geht sogar davon aus, dass die globalen Auswirkungen des Ukraine-Krieges höchstwahrscheinlich die bisher erzielten Fortschritte zunichte machen. Die Herausgeber betonen aber:
„Vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Rivalitäten und eines fragmentierten Multilateralismus bleiben die SDGs jedoch die einzige umfassende und universelle Vision für sozioökonomischen Wohlstand und ökologische Nachhaltigkeit, die von allen UN-Mitgliedstaaten angenommen wurde.“
Da sein, wo es Not tut
Um aktuelles Leid zu lindern und weitere Krisen verhindern, ist globaler Zusammenhalt und lokales Engagement gefragt. Das in Pakistan ansässige Unternehmen Maheen Textile Mills (Pvt) Ltd. geht hier mit gutem Beispiel voran und verbindet in seiner SDGs-Strategie Nachhaltigkeit gezielt mit dem Engagement gegen Armut und für Kinderwohl. Die Verantwortung im Land wiegt schwer, bietet aber auch große Chancen: In Pakistan trägt die Textilindustrie rund 46 Prozent zur Gesamtproduktion des Landes bei und ist damit eine der wichtigsten Wirtschaftszweige. Weltweit gehört Pakistan zu den größten Produzenten und Lieferanten von Heimtextilien. In Asien sei Pakistan der achtgrößte Exporteur von Textilprodukten, berichtet Syed Mureed Abbas Bukhari, Chief Growth Officer bei Maheen Textile Mills. Er legt das Selbstverständnis des Unternehmen dar:
„Maheen Textile Mills ist eines der führenden Heimtextilunternehmen in Pakistan, und als solches tragen wir die Verantwortung, unseren Beitrag zum Ökosystem der Industrie und des Landes zu leisten. Wir orientieren uns dafür an allen SDGs und lassen uns davon inspirieren. Unsere Ziele haben wir darauf ausgerichtet, die Welt zu verändern und haben Maßnahmen ergriffen, Armut und Ungleichheit beseitigen.“
Und diese Hilfe tut dringend Not. Pakistan ist mit 225,2 Millionen EinwohnerInnen das fünftbevölkerungsreichste Land weltweit (Stand 2021). Laut UN-Bericht lebt hier jede vierte Person in Armut, fast die Hälfte der Kinder (40 Prozent) ist von Unterernährung betroffen. Dazu bekommt Pakistan den Klimawandel besonders heftig zu spüren. All dies erschwert den Kampf gegen Armut und gegen Kinderarbeit, die in den letzten Jahren von allem in den ländlichen Bereichen angestiegen ist.
Kleine Hände, großes Problem
Mit diesem Problem liegt Pakistan im traurigen globalen Trend. Kinderarbeit ist weit verbreitet. In der Textilindustrie sind die Länder Asiens und Afrikas besonders betroffen, unter anderem Indien, Bangladesch, China, Myanmar, Kambodscha, Nepal, Vietnam, die Türkei, Swasiland und Äthiopien. Umso wichtiger, dass große Player wie Maheen Textile Mills in Sachen Recht, Gesundheit und Bildung dranbleiben. Das Unternehmen spricht sich klar gegen Kinderarbeit aus. Für die Umsetzung der lokalen Maßnahmen und Themen arbeitet es gezielt mit unterschiedlichen Organisationen zusammen, darunter die SOS-Schulen und die "Ali Zaib Foundations", die sich um Kinder kümmert, die an Hepatitis B, Hepatitis C, HIV, Malaria und Syphilis leiden.
Ebenso in der Lieferkette legt das Unternehmen hohe Maßstäbe an, berichtet Syed Mureed Abbas Buk. Transparenz und Rückverfolgbarkeit stehe dabei im Fokus. So arbeite Maheen bewusst mit Top-Marken zusammen, die ihren SDGs-Ansatz nachvollziehbar kommunizieren. Darüber hinaus schule die Firma Lieferanten und sensibilisiere diese für ethische Praktiken und die Beseitigung von Armut. Syed Mureed Abbas Bukhari bekräftigt:
„Wir glauben, dass diese Anstrengungen einen echten Mehrwert für unser Geschäft darstellen.“
Wissen hilft
Damit spricht der Manager ein Thema an, das nicht nur für die Textilbranche eine besonders große Herausforderung darstellt: die Lieferkette. Denn während die Firmen am eigenen Standort das Heft in der Hand haben, lässt sich Lieferkette in den vernetzen globalen Märkte eher schwer kontrollieren. Unternehmen, die sich verantwortungsvoll in der Lieferkette bewegen wollen, stehen verschiedene Informationsquellen und Werkzeuge zur Verfügung. Das US-amerikanische „Bureau of International Labor Affairs“ (ILAB) etwa sieht sich berufen, gegen Arbeitsmissbrauch in Lieferketten auf globaler Ebene vorzugehen und stellt dafür eine Reihe Instrumente zur Verfügung.
Gesetze auf dem Weg
Während die SDGs auf Freiwilligkeit aufbauen, bringen auch immer mehr Regierungen Gesetze auf den Weg, die die Unternehmen für ihre Lieferkette in die Verantwortung ziehen. Auch in der Europäischen Union (EU) werden Umfang und Inhalten eines europaweiten Lieferkettengesetzes diskutiert, das mitunter eine Haftung der Unternehmen einschließt. In Deutschland ist im Januar 2023 das nationale Lieferkettengesetz in Kraft getreten. Das Gesetz gilt zunächst für Unternehmen mit mindestens 3.000, ab 2024 auch für Unternehmen mit mindestens 1.000 ArbeitnehmerInnen im Inland. Die meisten deutschen Textilhersteller, die unter die KMU fallen, betrifft das Gesetz erst einmal nicht. Dennoch hat das „Bündnis für nachhaltige Textilien“ einen Leitfaden herausgegeben, der Unternehmen der Branche dabei helfen soll, Transparenz und Sicherheit in ihre Lieferkette zu bringen.
Verlässliche Glieder in der Kette
Das deutsche Unternehmen Oberbadische Bettfedernfabrik (OBB) hat sich eine beeindruckende Roadmap zur Erreichung der SDGs zurechtgelegt. Diese reicht von lokalen Maßnahmen bis zur sauberen Lieferkette. Für die umweltfreundliche Produktion am Heimatstandort setzt das Unternehmen an mehreren Ebenen an. Hierzu zählen der eigene Tiefbrunnen, eine Wasser-Recyclinganlage und eines der größten Blockheizkraftwerke der Region. Damit, und mit der Partnerschaft mit der Schwarzwald Tourismus GmbH, zahlt die OBB unter anderem auf die SDGs 6, 7 und 11 ein. Die hohe Produktqualität kann der Hersteller vor allem deswegen garantieren, weil er die Fertigung und damit auch das Qualitätsmanagement in Lörrach in den eignen Händen hält.
Als primär verarbeitendes Unternehmen nimmt die OBB die Lieferkette besonders in den Blick und setzt dabei sowohl auf offizielle Zertifikate als auch auf persönlicher Kontrolle. Geschäftsführerin Petra Schweigert erklärt:
„Wir sind neben GOTS und Ökotex Standard 100 auch durch den Grünen Knopf zertifiziert. Durch diese Zertifizierung hat unsere Lieferantenmanagement noch einmal eine ganz andere Sichtweise und Struktur bekommen.“
Die OBB arbeite ausschließlich mit zertifizierten Lieferanten zusammen und habe Tools, um eventuelle Risiken zu beobachten und zu minimieren. „Es ist für uns selbstverständlich, jeden Lieferanten möglichst einmal im Jahr persönlich zu besuchen und uns einen Eindruck vor Ort zu beschaffen. Natürlich hat jedes System auch Lücken, aber wir arbeiten kontinuierlich daran, diese zu erkennen und bestmöglich zu schließen.“
Mit dem Angebot an echten Daunen, bietet die OBB ein Naturprodukt, das aus Tierwohl-Sicht nicht ganz unumstritten ist. Petra Schweigert kennt die Kritik, verweist aber auch hier auf nachhaltige Partnerschaften: „Wir waren beim Thema Tierschutz schon immer Vorreiter, auch als das Thema „Lebendrupf“ noch gar nicht so im Fokus der Medien stand. Es ist einfach unsere tiefste Überzeugung, dass kein Tier für unsere Produkte leiden soll. Wir arbeiten seit Jahrzehnten mit den gleichen Lieferanten zusammen, die unsere Sichtweise teilen und denen wir zu 100 Prozent vertrauen.“
Weitere Sicherheit gäbe auch der Downpass. Das anerkannte Siegel gilt für Daunen und Federn von Wassergeflügel (Gänse und Enten), die als Füllmaterial in Bettwaren, Bekleidung und Outdoorequipment zum Einsatz kommen. Der Null-Toleranz-Standard schließt Mauserrauf, Lebendrupf und Federn von Tieren, die Stopfleberproduktion gehalten wurden, aus, und bezieht eine artgerechte Aufzucht und Halten der Tiere mit ein. Ein Vorteil des Siegels: Der Downpass kommuniziere der Standard das Thema medienwirksam und nachhaltig. „Natürlich werden wir einen strengen Veganer nicht von einer Daunendecke überzeugen können. Das muss auch nicht sein, denn es gibt zwischenzeitlich wirklich schöne und vor allem auch nachhaltige Alternativen für ein warmes Bett. Aber es ist dennoch wichtig, dass man unserer Branche Glauben schenkt, dass wir kein Tierleid dulden oder gar fördern“, unterstreicht die Unternehmerin.
Fortschritt programmiert
Damit spricht die Unternehmerin wichtige Punkte an: Objektivität, Nachvollziehbarkeit und Kommunikation. Diese bieten viele der offiziellen Zertifikate und Normen. Unter den bekanntesten sind Ökotex Standard 100, das GOTS- Siegel oder die Better Cotton Initiative (BCI). Textilzertifikate wie diese haben die zum einen Aufgabe, Herkunft, Spezifikationen, Qualitätsniveau zu garantieren oder nachzuweisen, dass ein Produkt bestimmten Produktions-, Sozial- und Umweltstandards entspricht. Zum anderen nutzen sie sowohl dem Handel als auch den Herstellern, den nachhaltigen Anspruch der Ware zu kommunizieren.
„Außerdem ist das Unternehmen durch die strengen Qualitätsanforderungen der Zertifikate immer wieder von Neuem herausgefordert, die Beschaffungs-, Herstellungs- und Vertriebsverfahren auf den Prüfstand zu stellen und sie gegebenenfalls den Anforderungen anzupassen. So ist Fortschritt programmiert“, sagt Sebastian Ihling, Sales Manager und Business Development bei der Alfred Apelt GmbH. Das Unternehmen setzt zum Nachweis und zur Objektivierung der Nachhaltigkeitsstrategie auf die großen Zertifizierungen wie Ökotex Standard 100 und das GOTS-Siegel.
Arbeitsreiche Aussichten
Ein solcher Fortschritt ist notwendig – und zwar auch, weil die Nachfrage nach ökologisch und sozial verantwortlichen Produkten steigt. Trotz aller Krisen und Herausforderungen, wie eine Deloitte-Studie von August 2022 zeigt. Sie rät Handel und Herstellern, gezielt Kundenbedürfnisse zu analysieren, Werte-orientierte Strategien zu entwickeln, Transparenz zu schaffen und Preiskonzepte anzupassen.
Es liegt also noch ein arbeitsreicher Weg vor den Unternehmen. Das sieht auch Margherita Rigamonti von Pozzi Arturo:
„Die Textilindustrie steht in den kommenden Jahren vor mehreren Herausforderungen, zu denen die wachsende Nachfrage nach Nachhaltigkeit und neue Umweltvorschriften gehören. Da die Verbraucher zunehmend nach umweltfreundlichen und ethischen Alternativen zu herkömmlichen Stoffen suchen, muss sich unsere Branche anpassen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“
KonsumentInnen und neue Umweltvorschriften werden die Unternehmen dazu zwingen, in Technologien und Verfahren zu investieren, die ihren ökologischen Fußabdruck verringern. Dazu gehören energieeffizientere Produktionsverfahren, die Verwendung nachhaltiger Materialien, die weitere Sendung des Wasserverbrauchs sowie neue Technologien und Modelle der Kreislaufwirtschaft.
Mit dem Blick auf die globale Situation richtet sich Margherita Rigamonti an die Staatengemeinschaft: „Die großen Anstrengungen der Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit und Innovation sind mit hohen Kosten verbunden. Um sicherzustellen, dass diese Bemühungen nicht durch die Konkurrenz aus Ländern untergraben werden, die sich nicht der Nachhaltigkeit verschrieben haben, hoffen wir, dass die Regierungen bald Maßnahmen ergreifen werden, die gewährleisten, dass Unternehmen, die in Nachhaltigkeit investiert haben, nicht durch Importe aus Ländern mit schwächeren Umweltvorschriften unterboten werden.“ Die gemeinsamen Nachhaltigkeitsziele der UN bieten dafür den richtigen Ansatz.
Hier geht es zum 1. Teil des Beitrags
Titelbild: Maheen Textile Mills (Pvt) Ltd