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Der Morgen | 2024, Barbara Esser, Merc. Baumwolle, Vierfachgewebe

Ordnung im Experiment

11.02.2025

Das Duo Esser/ Horn zeigt seit über 30 Jahren eindrucksvoll, wie vielfältig Textilkunst und -design sein kann. Warum sie das Thema fasziniert und was ihre Arbeiten charakterisiert, sagt uns Wolfgang Horn im Interview.

Lesedauer: 10 Minuten

Warum war Ihnen schon während des Studiums klar, dass Sie sich für eine freie künstlerische Laufbahn entscheiden wollen?

Wolfgang Horn: Barbara studierte Textildesign in Krefeld und hatte Freude am Experiment, an Werken, die industriell nicht gefertigt werden können. Sie hat sich in der Schweiz einen Webstuhl anfertigen lassen, eine Sonderanfertigung, und losgelegt. Ich habe Architektur in Düsseldorf studiert und schon während des Studiums Ausstellungen meiner Zeichnungen und Malereien organisiert. Gemeinsam haben wir uns dann auf den Weg gemacht und dabei ist es geblieben. Wir wollten die Freiheit, über unsere Gestaltung frei entscheiden zu können. Im Grunde haben wir für die Industrie nie gearbeitet, wir sind Künstlerinnen mit den uns wertvollen Wurzeln der Architektur, des Designs und des Webens.

„Unsere Ausstellungen zeigen, wie man unterschiedliche Themen miteinander kombinieren kann, vom Stoff über Architekturmodelle und Digitalgrafiken bis zur Lichtkunst.“

Sie haben es gerade erwähnt, während Barbara Esser Textildesign studiert hat, haben Sie sich der Architektur gewidmet. Was ist die Schnittstelle?

Wolfgang Horn: Die geometrischen Muster von Barbaras Stoffen passen allein aufgrund ihrer Ästhetik bereits sehr gut zur Architektur, denn sie beschäftigt sich viel mit Flächeneinteilung und -konstruktion sowie Farbzusammenstellungen. Nach einer Weile bin ich auch in meinen Arbeiten auf das Textile eingegangen, selbst in den Lichtinstallationen. Da wir zusammenarbeiten, können wir uns gut ergänzen und inspirieren. Sie übersetzt eine Computeranimation von mir beispielsweise in ein Bild am Webstuhl, während ich die Farbigkeit ihrer Stoffe in meine Animation übertrage. Für den Anzug „Tag-Pins“ aus dem Jahr 2008 haben wir Etikettenhalter aus der Textilbranche verwendet und sie tausendfach in den Anzugstoff geschossen und ebenso in eine digitale Grafik übersetzt. Nach 30 Jahren haben wir natürlich auch einen eigenen Fundus. Dieses Repertoire können wir parallel nutzen, um Ideen in ein anderes Medium zu übertragen.
 

Mit Ihren Arbeiten bauen Sie Brücken zwischen Kunst, Design, Handwerk und dienen einem präziseren Raumerleben. Warum ist Ihnen beiden diese Vielfalt wichtig?

Wolfgang Horn: Die Vielfalt entsteht zum einen durch das Experiment, zum anderen sind wir als KünstlerInnen natürlich auch an verschiedenen Medien interessiert. Manche Themen werden im Laufe der Jahre bedeutender, wie die Lichtinstallationen und textile Räume im Objektbereich. Durch diese Vielfalt in den Arbeiten sind unsere Ausstellungen auch immer recht umfangreich und zeigen, wie man unterschiedliche Themen miteinander kombinieren kann, vom Stoff über Architekturmodelle und Digitalgrafiken bis zur Lichtkunst. So lassen sich immer wieder Details entdecken, die in mehreren Arbeiten auftauchen, aber jeweils auf andere Art.

Barbara Esser und Wolfgang Horn
Barbara Esser und Wolfgang Horn. Foto: Maxi Gerischer

Für die "Fiber Art" ist große Geduld und Vorausplanung notwendig, für einen Wandteppich oder ein Fadenbild braucht es mitunter Monate der Arbeit, besonders bei der Technik des Vierfachgewebes. Unsere Realität ist indes immer schnelllebiger und komplexer geworden. Warum haben sie diesen Gegensatz gewählt?

Wolfgang Horn: Das ist wirklich so, wir haben unsere Arbeiten immer sehr komplex und aufwendig gestaltet. Allein die Einrichtung des Webstuhls dauert zwei Monate. Über 10.000 Faden müssen aufgezogen werden, bevor der erste Stoff entstehen kann. Diesen Arbeitsprozess kann man nicht beschleunigen. Nach all den Jahren nehmen wir uns auch selbst den Druck. Die Planung und Ausführung braucht ihre Zeit, gerade wenn man einen Arbeitsschritt Tausend Mal wiederholen muss, um zu einem Ergebnis zu kommen. Auch die Animationen bei den Lichtkunstprojekten werden nicht von einer Künstlichen Intelligenz erstellt, sondern jedes einzelne Element der Bewegung wird von mir mittels des Computers animiert, so dass ich für eine Sequenz von zwei Minuten auch schon mal bis zu drei Wochen damit beschäftigt bin.


Zu Ihren Werken gehören textile Bildformate, Wandteppiche, Raumteiler, Mixed-Media Objekte, Lichtinstallationen und Kunstprojekte im öffentlichen Raum. Wie beginnen Sie jeweils, ist das Material zuerst da oder die Idee, die Sie umsetzen wolle?

Wolfgang Horn: Bei meinen Objekten ergeben sich die Formen meist aus dem Material. Ich baue beispielsweise gerade für eine Ausstellung mit kleinen Solarplättchen aus dem Modellbau große, strukturierte Flächen. Barbara hingegen stellt vorab die Garnfarben zusammen, aus einer Palette mit 172 Optionen. Sie kreiert kleine Kärtchen für die ersten Farbproben, schaut ob diese harmonieren. So ergibt sich Schritt für Schritt, wie die Kette am Webstuhl aussehen soll und schließlich auch der Stoff.

Tag pins – red | 2008, Wolfgang Horn, Herrenanzug, Kunststofffäden
Tag pins – red | 2008, Wolfgang Horn, Herrenanzug, Kunststofffäden. Foto: Wolfgang Horn

Viele Ihrer Arbeiten bestehen aus veredelter Baumwolle, dazu kommen Leinen, Webkanten und nichttextile Materialien. Wie entscheiden Sie, welches Material den Vorzug bekommt und woher stammen die Materialien?

Wolfgang Horn: Barbara arbeitet hauptsächlich mit merzerisierter Baumwolle, die es in unterschiedlichen Stärken gibt und die sie einkauft. Diese Baumwolle hat einen gewissen Glanz im Garn und eine gute Stabilität. Bei mir ist es hingegen so, dass ich viel mit Materialien experimentiere und kleine Modelle erstelle, auch mit dem 3D-Drucker. Die Prototypen sind dann etwa 15 x 15 Zentimeter groß, bevor ich sie im großen Maßstab realisiere.
 

Die Muster, die Sie an dem computergesteuerten Schaftwebstuhl und auch bei Ihren weiteren Arbeiten erzeugen, sind meist geometrisch und abstrakt. Trotz vielseitiger und experimenteller Kombinationen, auch in der Farbe, erreichen Sie eine Perfektion, die ästhetisch wirkt, Ruhe ausstrahlt. Warum ist Ihnen wichtig, dass das Ergebnis akkurat ist, eine visuelle Ordnung hat?

Wolfgang Horn: Das stimmt, wir sind wirklich sehr akkurat in unserer Arbeit und legen darauf auch großen Wert. Das geht bis zur Rahmung, die stets eine hohe Qualität haben muss. Die Stoffe haben keinen freien Fall, sie werden von uns eingefasst. Auch die Hängung passt genau zu den Exponaten, alle Arbeiten sind auf 1,6 Meter Achse gehängt. Die Wände sind passend zu den textilen Werken gestaltet. Es gibt eine gewisse Strenge und Stärke im Ganzen, die mit der Leichtigkeit der Farben und dem Spielerischen der verschiedenen Medien und Materialien balanciert wird. Wir haben beide ein geometrisches Denken, bei mir ist das sicher auch in meiner architektonischen Ausbildung begründet. Es gehört zu unserer Bildsprache. Tatsächlich werden unsere Arbeiten oft von Menschen erworben, die selbst ein strukturiertes Denken haben und eine Ordnung in ihrem Leben schätzen.

„Der Effekt erschließt sich erst wenn man näher herantritt. Barbara spannt Fäden übereinander gelagert auf einen Träger, die von weitem gesehen wirken wie ein Pinselstrich auf einer Leinwand.“

Sie fordern unsere Wahrnehmung heraus, indem Sie den textilen Charakter in ungewohnte Kontexte setzen, wie bei "6 Teppiche" oder mit einem ironischen Augenzwinkern Muster schaffen, deren Komplexität/ Tiefe man erst auf den zweiten Blick erfassen kann, wie bei einem Muster aus vielen kleinen Totenköpfen. Welche Emotion möchten Sie bei den Betrachterinnen ihrer Arbeiten hervorrufen?

Wolfgang Horn: Der Überraschungseffekt ist schon bei einigen Arbeiten vorhanden. Von weitem betrachtet sieht der Totenkopfanzug aus wie ein Pepita-Muster, eine Hahnentrittform. Der Effekt erschließt sich erst wenn man näher herantritt. Das haben wir oft in unseren Arbeiten. Barbara spannt Fäden übereinander gelagert auf einen Träger, die von weitem gesehen wirken wie ein Pinselstrich auf einer Leinwand. Gerade habe ich ein Bild aus tausenden Buntstiftspänen zusammengesetzt, die aus der Entfernung betrachtet einen großen Kreis ergeben.

Platine III + II 2023, Barbara Esser, Merc. Baumwolle, Vierfachgewebe
Links: Platine III 2023, Barbara Esser, Merc. Baumwolle, Vierfachgewebe, 83,5 cm x 179,5 cm, Foto: Wolfgang Horn / Rechts: Platine II, 2022, Barbara Esser, Merc. Baumwolle, Vierfachgewebe, 83 cm x 185 cm, Foto: Wolfgang Horn
Platine III 2023, Barbara Esser, Merc. Baumwolle, Vierfachgewebe und Ohne Titel | 2016/2017, Barbara Esser, Merc. Baumwolle, Dreifachgewebe
Links: Platine III 2023, Barbara Esser, Merc. Baumwolle, Vierfachgewebe, 83,5 cm x 179,5 cm, Foto: Wolfgang Horn / Rechts: Ohne Titel | 2016/2017, Barbara Esser, Merc. Baumwolle, Dreifachgewebe, 137 cm x 227 cm, Foto: Wolfgang Horn

Sie realisieren hin und wieder Auftragsarbeiten. Was muss gegeben sein, damit Sie diesen zustimmen?

Wolfgang Horn: Die Auftragsarbeiten beziehen sich meist auf einen vorgegebenen Ort, für den wir die Ideen entwickeln. Bei den übrigen textilen Arbeiten ist das kaum möglich. Die Stoffe werden nach dem Weben nicht weiterverarbeitet, um sie als Bezugsstoff oder Teppich zu verwenden. Sie sind Unikate und werden in den Ausstellungen als Bildobjekte oder raumteilendes Element präsentiert.

„Textil ist unsere Hauptbasis. Der Reiz daran ist, dieses Programm mit jeder Arbeit ein wenig zu erweitern, aber immer wieder auf den Ursprung zurückzukommen.“

Die Anziehungskraft von textilen Strukturen und Oberflächensystemen ist nicht nur Thema Ihrer rein textilen Arbeiten, sondern auch derer, die nicht aus textilen Materialien bestehen. Was fasziniert Sie daran?

Wolfgang Horn: Textil ist unsere Hauptbasis. Der Reiz daran ist, dieses Programm mit jeder Arbeit ein wenig zu erweitern, aber immer wieder auf den Ursprung zurückzukommen. In unserem Magazin haben wir über 500 Werke, die zu diesem Thema passen, aber teils mit anderen Materialien umgesetzt wurden.
 

Was würden Sie sich wünschen, wie die Textilkunst auf Fachmessen vermittelt werden sollte?

Wolfgang Horn: Wir haben unsere Werke bereits auf Fachmessen für Architektur zeigen können. Bei diesen Veranstaltungen gab es jeweils ein Oberthema, wie textile Fassaden, Überspannungen und Dachkonstruktionen. Wir waren eingeladen, das Thema künstlerisch zu interpretieren und hatten für die Präsentation Freiflächen in fünf deutschen Städten. Die Kunstfläche wurde jeweils mitten in der Messe positioniert, drumherum die Stände der ausstellenden Unternehmen. Das hat das Programm für die BesucherInnen aufgelockert. Das Prinzip KünstlerInnen im Zentrum der Halle eine Fläche für die Ausstellung zu gewähren, könnte ich mir auch bei einer Textilmesse gut vorstellen. Ein Kunstbereich ist meiner Ansicht nach für eine Fachmesse sehr bereichernd, weil sie neue Perspektiven bietet und inspiriert.

Webstuhl im Atelier
Webstuhl im Atelier, Foto: Wolfgang Horn

Ich habe den Eindruck, dass sich die Rezeption von Textilkunst in den letzten Jahren positiv verändert hat. Wie ist da Ihre Meinung?

Wolfgang Horn: Das geht mir auch so, denn die großen Kunstmessen zeigen mittlerweile viel Textilkunst, da euch KünstlerInnen begonnen haben mit dem Thema zu arbeiten, die zuvor nicht in dem Feld tätig waren. In einer Fotoausstellung konnte ich so kürzlich Werke sehen, die auf Textil gedruckt waren. Vor 30 Jahren hat unsere Arbeit viel Unverständnis erzeugt oder wurde zur Kategorisierung in falsche Schubladen gesteckt. Da mussten wir viel gegensteuern. Die Textilkunst zeigt eine einzigartige Eigenständigkeit und zum Glück hat sich die Qualität letztendlich auch in der Rezeption durchgesetzt.
 

Sie sind beide in Düsseldorf geboren und arbeiten dort seit gut 30 Jahren in einem gemeinsamen Atelier - warum funktioniert das?

Wolfgang Horn: Gute Nerven muss man haben. (lacht) Wir ziehen in unserer Arbeit an einem Strong, das hilft. Es ist nicht immer alles optimal, aber man sollte das große Ganze gar nicht infrage stellen. Da wir schon so lange zusammenarbeiten, sind unsere Abstimmungen relativ kurz. Das ist auf jeden Fall einer der Vorteile. Düsseldorf ist zudem unsere Heimatstadt, hier kennen wir uns gut mit den Strukturen aus.


Woran arbeiten Sie gerade?

Wolfgang Horn: Unter anderem an unserer Präsentation für die Teilnahme am Staatspreis Manufacturn für angewandte Kunst und Design im Handwerk. Zudem planen wir in 2025 in verschiedenen Städten Lichtinstallationen.

Lichtinstallation „Threads“ am Schauspielhaus Düsseldorf
Lichtinstallation Schauspielhaus Düsseldorf 2024, „Threads“, Esser/ Horn, Foto: Wolfgang Horn
Lichtinstallation „Rotation“ am Schauspielhaus Düsseldorf
Lichtinstallation Schauspielhaus Düsseldorf 2024, „Rotation“, Esser/ Horn, Foto: Wolfgang Horn

Titelbild: Der Morgen | 2024, Barbara Esser, Merc. Baumwolle, Vierfachgewebe, gerahmt, 82,5 cm x 62,5 cm, Foto: Wolfgang Horn

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Anna Moldenhauer

stylepark Magazin

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