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Jeans hängen zum Trocknen an Wäscheleine vor gelber Wand in der Sonne

Denim Made in Europe

Reshoring Denim: Europas Jeansproduktion gewinnt an Bedeutung

07.10.2025

Kaum ein anderes Kleidungsstück ist globaler produziert, ressourcenintensiver gefertigt und symbolischer aufgeladen als die Jeans. Damit steht die Denim-Branche angesichts geopolitischer Unsicherheiten, Lieferkettenproblemen und steigenden ESG-Anforderungen vor besonders großen Herausforderungen. Gleichzeitig fordern Konsument*innen mehr Transparenz: Woher stammt die Baumwolle? Unter welchen Bedingungen wurde die Jeans genäht? Die Antwort lautet für immer mehr Marken: Europa. Vor diesem Hintergrund rückt auch das Thema Reshoring verstärkt in den Fokus – die Rückverlagerung von Produktionsschritten nach Europa gilt vielen als strategische Antwort auf globale Krisen.

Lesedauer: 4 Minuten

Aus dem Scheitern lernen

2021 sorgte ein ambitioniertes Projekt für Schlagzeilen: C&A startete in Mönchengladbach eine automatisierte, ressourcenschonende Jeansproduktion – direkt in Deutschland. Rund 420.000 Hosen pro Jahr sollten mit modernsten Maschinen und kurzen Wegen gefertigt werden. Das Ziel: Nachhaltigkeit, Innovation und europäische Fertigung in einem Modellbetrieb zu vereinen. Doch Anfang 2025 kam das Aus1. Die Nachfrage blieb hinter den Erwartungen, der Standort wurde geschlossen. Der Fall zeigt, wie komplex Reshoring ist – wenn Innovationsdruck, Wirtschaftlichkeit und Verbrauchererwartungen kollidieren. Hohe Energiepreise, unsichere Märkte und fehlende Stückzahlen erschwerten den Betrieb. Auch wenn das Projekt scheiterte, gilt es als wichtiges Experiment und der Veränderungswille bleibt: In Mönchengladbach arbeiten nun Wissenschaft und Industrie gemeinsam an neuen Technologien.

Warum Marken auf Europa setzen

Trotz Rückschlägen setzen viele Jeans-Marken weiterhin auf lokale Produktion – aus Überzeugung oder strategischer Notwendigkeit. Die Firma 1083 etwa relokalisiert sämtliche Herstellungsschritte – vom Weben über Färben und Zuschneiden bis zur Konfektion – nach Frankreich, um traditionelles Handwerk und Know-how zu erhalten. Auch Dao Davy lässt Stoffe in Frankreich weben oder bezieht sie von europäischen Partner*innen und fertigt Jeans aus lokal angebautem Leinen – mit Fokus auf Umweltfreundlichkeit und Rückverfolgbarkeit. Einen technologischen Ansatz wählte Selfnation: Das Schweizer Unternehmen, inzwischen Teil von Tailor Store (Schweden), kombinierte KI-gestützte Schnittmuster mit automatisierter Fertigung für maßgeschneiderte Jeans on demand – zunächst in der Schweiz, später in Italien.

Mitarbeiterin näht Stoff an Industrienähmaschine im Jeans-Atelier
Als Teil des lokalen Produktionsansatzes, beschäftigt MAC eine hauseigene Musternäherei in Süddeutschland. © MAC

Längst geht es nicht nur um Herkunftslabel, sondern um Planungssicherheit, Reaktionsgeschwindigkeit und Markenidentität. „Die letzten Jahre haben gezeigt, wie fragil globale Lieferketten sein können. Für uns war das ein weiterer Beweis, dass lokale Produktion nicht nur nachhaltiger, sondern auch zukunftssicherer ist“, sagt Eveline Schönleber von MAC, dessen Hosen in Deutschland, Italien, Spanien, Portugal und Polen sowie nah an Europa grenzenden Ländern gefertigt werden. Geopolitische Konflikte, Zollbarrieren und steigende Transportkosten machen die Vorteile kurzer Lieferketten deutlich spürbar. Wer nah an den Produktionsstätten ist, kann flexibler agieren – ein entscheidender Vorteil in einem Markt, der von schnellen Trends lebt.

„Europa bietet uns die Nähe zu unseren Partnern, kurze Transportwege und die Möglichkeit, Qualität, Innovation und Nachhaltigkeit besser zu steuern.“

Eveline Schönleber

ESG & Kundenerwartung als Treiber

Zudem bringen neue gesetzliche Anforderungen – etwa das EU-Lieferkettengesetz CSDDD – Unternehmen dazu, ihre Wertschöpfung zunehmend transparent und fair zu gestalten. Marken wie MAC nehmen diesen Wandel aktiv auf: „ESG-Kriterien sind für uns kein Zwang, sondern ein Leitfaden. Unsere Kunden erwarten heute nachvollziehbare Verantwortung – vom Material über die Produktion bis hin zum Transport“, sagt Schönleber. Auch Euratex, der europäische Branchenverband, der die Interessen der Textil- und Bekleidungsindustrie gegenüber den Institutionen der Europäischen Union vertritt, plädiert dafür, Textilproduktionen zurück nach Europa zu bringen oder die Produktionen zumindest in Form von Nearshoring näher zu verlagern2. Diese Haltung begründet Euratex ebenfalls mit der Aussicht auf erhöhte Resilienz, bessere Kontrolle über Umwelt  und Sozialstandards sowie geringere Risiken bei globalen Krisen. 

Digitale Schnittmuster für Jeansdesign auf Tablet in der Musternäherei
Technik und Automatisierung können entscheidende Faktoren für eine lokale Produktion sein. © MAC

Chancen und Herausforderungen

Die Entscheidung für eine Produktion in Europa bietet zahlreiche Vorteile – aber auch klare Herausforderungen. Zu den größten Chancen zählen hohe Qualität, Marktnähe und steigende Nachfrage. Europäische Manufakturen verfügen oft über jahrzehntelanges Know-how, das sich in Verarbeitung und Passform zeigt, und bieten meist auch eine Produktion kleinerer Stückzahlen als ihre asiatischen Wettbewerber. Kurze Wege sorgen für schnellere Lieferzeiten, bessere Planbarkeit, mehr Transparenz und eine deutlich bessere CO₂-Bilanz. Obwohl Berichte über Sweatshops in Europa steigen, gilt lokale Fertigung für Konsument*innen, die nach fair produzierter Mode suchen, oft als authentisch, glaubwürdig und nachhaltig.

Dem stehen jedoch Herausforderungen gegenüber: höhere Produktionskosten, Rohstoff- und Fachkräftemangel. Im Vergleich zu Asien ist die europäische Fertigung teurer – durch höhere Löhne, strengere Umweltauflagen und geringere Stückzahlen. Baumwolle, das wichtigste Denim-Material, wird in Europa kaum angebaut, was Abhängigkeit von Importen und Preisschwankungen bedeutet. Zudem fehlen vielerorts qualifizierte Fachkräfte, da Ausbildungspfade abgebaut wurden. Trotzdem sehen viele Unternehmen darin eine Chance zur Differenzierung:

„Die größte Chance liegt in der wachsenden Wertschätzung für faire Produkte. Die Herausforderung bleibt die Balance zwischen Preis und Nachhaltigkeit – aber wir glauben, dass Qualität und Werte den Unterschied machen“, sagt Schönleber.

Eine wachsende Nische mit Zukunft

Die Rückverlagerung der Jeans-Produktion nach Europa scheint ein sich haltender Trend zu sein. In Portugal, Italien, der Türkei oder auf dem Balkan entstehen Ökosysteme, die handwerkliche Qualität, moderne Technik und Nachhaltigkeit vereinen. Auch Marken wie Candiani Denim und Mud Jeans zeigen, dass europäische und Nearshoring-Produktion erfolgreich sein kann. Branchenanalysen erwarten in den nächsten fünf bis zehn Jahren einen moderaten, aber stabilen Anstieg der europäischen Produktion – getrieben durch ESG-Auflagen, steigendes Verbraucherbewusstsein und technologische Fortschritte.

Denim made in Europe wird die Massenproduktion in Asien nicht ersetzen – aber sie prägt zunehmend das Premium- und Nachhaltigkeitssegment. Der Fall Mönchengladbach zeigt, dass Pionierprojekte scheitern können – aber auch, dass sie dringend gebraucht werden, um lokale Lösungen zu entwickeln und damit in Transparenz, Qualität und Sicherheit zu investieren. Entscheidende Werte in einer Branche im Wandel.

Lisa Wagner

Lisa Wagner

Freie Journalistin & Kommunikationsberaterin

Lisa Wagner arbeitet seit über 20 Jahren in der Modebranche, sowohl auf Industrie-, Agentur- und Redaktionsseite und mehr als die Hälfte davon im nachhaltigen Segment. Zuletzt war sie als Head of Brand Communication beim europäischen Marktführer für ökologisch und sozial fair produzierte Textilien tätig. Seit 2020 arbeitet sie als freie Journalistin und Kommunikationsberaterin in der Nähe von Frankfurt am Main. Wirtschaft, Ökologie und die Interessen unterschiedlicher Stakeholder zu versöhnen, liegt ihr dabei am Herzen. Foto: Nina Paul

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