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Automatische Sortiermaschine für Textilien

Wenn Roboter und KI Textilabfälle sortieren

28.01.2025

Steigende Abfallmengen und neue EU-Vorschriften zwingen beim Textilrecycling zum Umdenken. Drei Unternehmen wollen die Textilsortierung mit Robotern, KI und Algorithmen revolutionieren.

Lesedauer: 6 Minuten

Das Textilrecycling steht vor dem Hintergrund der nachhaltigen Transformation vor großen Herausforderungen: Steigende Abfallmengen durch Fast Fashion, schwindende Exportmärkte für Second-Hand-Ware, fehlende Recycling-Infrastruktur und neue Vorschriften wie die EU-Getrenntsammlungspflicht ab 2025 erfordern neue Lösungen. Eine große Hürde dabei: die effiziente Vorsortierung der Alttextilien. Insbesondere Mischtextilien aus unterschiedlichen Fasern erschweren ein hochwertiges Recycling. Um diese und weitere Herausforderungen zu meistern, setzen Hersteller von Sortieranlagen längst auch auf Automatisierung, Algorithmen, Roboter und Künstliche Intelligenz (KI).

1. Automatisierte Textilsortierung mit Algorithmen

Zum Beispiel die deutsche Firma SOEX. Das Unternehmen ist seit 1977 in der Sammlung, Sortierung und Verwertung von Textilien tätig und gilt als Pionier im Textilrecycling. Seit 2015 arbeitet SOEX an der Entwicklung einer Automatisierungstechnik für die Textilsortierung. 

„Die Möglichkeit, Textilien automatisiert nach Material und Farbe zu sortieren, ist ein wichtiger Schritt, um Alttextilien künftig hochwertig recyceln zu können“, sagt Vittoria Troppenz, Head of Circularity bei SOEX. Schon damals sei absehbar gewesen, so Troppenz, dass die Textilabfallmengen steigen und die automatisierte Sortierung insbesondere von nicht mehr tragbaren Textilien an Bedeutung gewinnen würde. 

Um Textilabfälle besser sortieren zu können, setzt SOEX auf einen Mix aus drei Technologien: 

Die Nahinfrarotspektroskopie (NIR) analysiert die molekulare Zusammensetzung der Textilien und prüft, ob es sich um sortenreine- oder um Mischtextilien wie Polyester/Baumwolle oder Acryl/Baumwolle handelt. Ein RGB-Sensor sortiert die Textilien unterdessen nach Farben, während eine – noch in der Entwicklung befindliche – Objekterkennung sie nach Produktgruppen wie Hose, T-Shirt oder Kleid trennt. 

Für die präzise Materialerkennung hat SOEX einen auf maschinellem Lernen basierenden Algorithmus trainiert, der laut Troppenz eine Erkennungsgenauigkeit von bis zu 95 Prozent erreicht. „Unser System kann 90 verschiedene natürliche und synthetische Materialien und Materialkombinationen unterscheiden“, sagt sie. 1.500 Teile oder rund 500 Kilogramm pro Stunde bereitet die Anlage derzeit für das chemische oder mechanische Recycling auf. Neben Textilien aus der klassischen Containersammlung verarbeitet SOEX dabei über seine Tochterfirma I:Collect auch Textilien aus dem Einzelhandel, darunter Bekleidung, Heimtextilien wie Bettwäsche und Handtücher sowie Berufsbekleidung. Dass man bei SOEX trotz des kürzlich eingeleiteten vorläufigen Insolvenzverfahrens weiter auf die hauseigene Sortiertechnologie setzt, ist für Troppenz ganz klar: „Ein Fokuswechsel hin zu einem hochwertigen Recycling des Textilabfalls ist für die Zukunft einer gelingenden textilen Kreislaufwirtschaft existenziell.“

SOEX-Sortieranlage
In der SOEX-Sortieranlage analysieren Nahinfrarot-Lichtwellen die molekulare Zusammensetzung von Textilien und erkennen so auch Materialkombinationen.

2. Roboter in der Textilsortierung

Neu auf dem Markt der Textilsortierung ist das dänische Start-up „NewRetex“. Das 2021 gegründete Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, flächendeckend neue Sortierkapazitäten in ganz Europa aufzubauen. 

„Als Modedesignerin habe ich mich viel mit Cradle-to-Cradle-Konzepten beschäftigt“, erzählt Mitgründerin Rikke Bech. „Je mehr ich dabei über den Stand der Kreislaufwirtschaft in der Modebranche erfahren habe, desto klarer wurde mir: Hier muss etwas passieren.“ Gemeinsam mit dänischen Automatisierungsexperten entwickelte Bech daraufhin eine eigene vollautomatische Sortieranlage für Textilabfälle. Zwar werden die Plastiksäcke mit den unsortierten Alttextilien aus kommunaler Sammlung noch von NewRetex-Mitarbeitern geöffnet, doch dann übernehmen Roboter, scannen die Textilien und sortieren sie.

Recycelte Fasern, Garne und Jersey-Stoffe aus NewRetex-sortierten Alttextilien
Automatisch sortiert: Recycelte Fasern, Garne und Jersey-Stoffe aus NewRetex-sortierten Alttextilien.
Zuführbereich der NewRetex-Sortieranlage
Zuführbereich der NewRetex-Sortieranlage: Hier beginnt der automatische Sortierprozess mit der Einspeisung der Alttextilien.
Sortierte Textilien in Körben
Nach Analyse durch Roboter und Sensorpaket sortiert die NewRetex-Anlage die Textilien nach 31 verschiedenen Kategorien in unterschiedliche Körbe.

3. Digitale Rückverfolgbarkeit verbessern

Das Herzstück der Anlage ist ein zum Patent angemeldetes Drei-Sensor-System. Es sortiert die Textilabfälle ebenfalls mittels NIR und KI nach Farbe, Struktur und Materialzusammensetzung. Komplettiert wird das Dreier-System durch das Rückverfolgungstool „Huginn“, dessen Bedeutung Bech ausdrücklich betont. 

„Die Rückverfolgbarkeit von Textilabfällen ist ein entscheidender Aspekt für einen erfolgreichen Faser-zu-Faser-Kreislauf“, erklärt sie. Bech ist überzeugt: Bislang gibt es in Europa kein flächendeckendes Textilrecycling, weil die Sortierung nicht standardisiert ist und die Rückverfolgbarkeit kaum gegeben ist. Huginn dokumentiert deshalb den Weg der Alttextilien von der Annahme bis zur Übergabe an die Recyclingpartner, erstellt automatisch Sortierberichte und lässt sich nach Angaben von NewRetex sogar in bestehende ERP-Systeme und externe Produktpass-Datenbanken integrieren. „Huginn verdanken wir unsere Zertifizierung nach dem Global Recycled Standard“, sagt Bech.

Getrenntsammlungspflicht fördert Sortierinnovation 

Nach der Sortierung werden die Alttextilien zu Ballen gepresst und an Recyclingpartner in ganz Europa verschickt. Mit der Anlage, die derzeit eine Kapazität von 1.500 Tonnen Alttextilien pro Jahr hat, reagierte NewRetex auch auf die seit 2023 in Dänemark geltende Getrenntsammlungspflicht. Diese schreibt vor, dass Textilabfälle getrennt gesammelt und entsorgt werden müssen. „Die dadurch steigenden Mengen haben den Bedarf an automatisierten Sortierlösungen erhöht, denn früher wurden Textilabfälle oft einfach exportiert oder verbrannt“, erklärt Bech. Vor dem Hintergrund der EU-weiten Getrenntsammlungspflicht ab 2025 plant NewRetex daher, seine Sortiertechnologie künftig auch zu exportieren, um den Aufbau einer flächendeckenden Textilsortierung in anderen europäischen Ländern zu unterstützen. 

„Unser System kann 90 verschiedene natürliche und synthetische Materialien und Materialkombinationen unterscheiden.“

„Die Rückverfolgbarkeit von Textilabfällen ist ein entscheidender Aspekt für einen erfolgreichen Faser-zu-Faser-Kreislauf.“

„Technisch ist alles machbar, vor allem, wenn das chemische Recycling weiter an Fahrt gewinnt. Was es in den nächsten Jahren braucht, ist Geld.“

4. Von der Pommes-Sortierung zur KI-gesteuerten Textilsortierung

Auch in Belgien wird an der Zukunft der textilen Kreislaufwirtschaft gearbeitet. Mit Fibersort hat das Technologieunternehmen Valvan bereits 2011 eine automatisierte Materialerkennung für Textilien entwickelt.

„Fibersort war eine Antwort auf die Fast-Fashion-Problematik, die zu großen Abfallmengen an minderwertiger Kleidung führt“, sagt Jean-François Gryspeert, Sales & Business Developer bei Valvan. 

Laut Gryspeert schließt Fibersort eine Lücke zwischen Textilsortierern und Recyclingunternehmen, indem es die Faserzusammensetzung von Textilien erkennt. „Bei der manuellen Sortierung muss man sich auf das Erfühlen und auf das Etikett verlassen, aber Studien zeigen, dass die Informationen auf Etiketten in bis zu 50 Prozent der Fälle falsch sind“, erklärt Gryspeert. Fibersort erkenne die Faserzusammensetzung automatisch – „von der Babysocke bis zur Bettwäsche“. Aufbauend auf dieser Technologie hat Valvan 2020 „Trimclean“ entwickelt, eine KI-basierte Lösung für eine noch bessere Materialerkennung. Gryspeert erinnert sich noch gut, aus welch unerwarteter Richtung die Idee zu Trimclean kam: „Einer unserer Ingenieure besuchte damals ein Unternehmen in der Nähe, das Pommes frites verarbeitet. Dort sah er, wie minderwertige Pommes per Sichtkontrolle aussortiert wurden. Das führte bei uns zu einem Brainstorming über den Einsatz von KI zur Verarbeitung visueller Informationen bei Textilien.“ Valvan zufolge funktioniert Trimclean inzwischen so gut, dass es sogar Aufnäher, Nähte und Aufdrucke auf Textilien erkennt und automatisch aussortiert. 

Textilsortiersystem Trimclean TC2000 von Valvan
Inspiriert durch die automatische Pommes-Inspektion: das Textilsortiersystem Trimclean TC2000 von Valvan mit integrierter KI-Erkennung, Metalldetektor und RGB-Kamera.

5. „Technisch ist alles machbar. Jetzt braucht es Investitionen.“

Die technischen Herausforderungen beim Textilrecycling sind laut Gryspeert inzwischen weitgehend gelöst. „Technisch ist alles machbar, vor allem, wenn das chemische Recycling weiter an Fahrt gewinnt“, sagt er. 

Jetzt seien Investitionen gefragt. „Was es in den nächsten Jahren braucht, ist Geld. Die EPR, also die erweiterte Herstellerverantwortung, wird ab 2025 Realität und der Erfolg hängt nun davon ab, Investoren für den Ausbau des Textilrecyclings zu gewinnen“, so Gryspeert. 

Die Reaktionen der Branche auf die Auszeichnung von Trimclean mit dem Texprocess Innovation Award 2024 in der Kategorie „Digitalisierung und KI“ zeigen, dass der Bedarf an zukunftsweisenden Lösungen für die automatische Sortierung von Textilien vorhanden ist: „Seit der Preisverleihung im April 2024 haben wir ein deutlich gestiegenes Interesse an Trimclean festgestellt“, sagt Gryspeert. „Fast alle Anfragen, die wir erhalten, beziehen sich auf den Innovation Award.“

Titelbild: Die SOEX-Anlage sortiert Textilien automatisch nach Material und Farbe und soll künftig auch Produktarten wie T-Shirt, Hose und Kleid unterscheiden können.

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