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Helles Tiny House mit großer Fensterfront, Holzdecke und modernem Interieur

Tiny Architecture

Komfort auf kleinstem Raum

18.11.2025

Zu fünft auf 57 m² leben – und nichts vermissen. Wie das geht, erklärt Bo Le-Mentzel, Gründer der Tiny Foundation. Der Berliner Architekt ist auf Kleinstwohnungen spezialisiert und lebt mit seiner Familie selbst „tiny“. Er erklärt, warum er dies als Komfort empfindet und was bei der Einrichtung kleiner Räume zu beachten ist. Ein Interview.

Lesedauer: 7 Minuten

Interview mit Bo Le-Mentzel, Architekt und Gründer der Tiny Foundation

Die Kunst, eine Kleinstwohnung einzurichten, ähnele eher dem Mode- als dem Interior-Design, sagt Bo Le-Mentzel. Der vielbeachtete Architekt ist einer der wenigen, denen es gelingt, Grundflächen so zu planen, dass Wohnraum tatsächlich erschwinglich wird. Erfahrung hat er beim Bau von mobilen Tiny Houses gesammelt, aber auch bei der Ausstattung seiner eigenen Wohnung. Hier spricht er über probate Antworten auf die weltweite Wohnungsnot, eine alternative Definition von Komfort und die Rolle von Textilien bei der Ausstattung kleinster Wohnungen.

Mann meditiert in minimalistischem Tiny House mit Holzelementen und blauer LED-Beleuchtung
Links: Platz ist in der kleinsten Hütte: Der Berliner Architekt Bo Le-Mentzel ist auf Tiny Houses und Kleinstwohnungen spezialisiert. Rechts: So wohnlich können 3 m² Kinderzimmer sein: oben das Bett, unten Raum für Kreativität. Farbige Wände und Kissen setzen wichtige optische Reize. © Bo Le-Mentzel

Kaum Wohnungen, hohe Mieten, wenig Ausweichmöglichkeiten: Wohnraummangel ist ein weit verbreitetes Problem. Betroffen sind vor allem die großen Metropolen. Laut Analysen trifft es derzeit am meisten die Länder Luxemburg, Irland, Norwegen und die Schweiz. Wohnraummangel kennen Sie aus Berlin, wo sich die Einwohnerzahl auf die Vier-Millionen-Marke zubewegt, sehr gut. Warum ist die Idee der Kleinstwohnungen ein realistischer Lösungsansatz – und wo liegen die Grenzen?

Die Wohnungsnot hat (mindestens) zwei Facetten: den Mangel an Raum und den Mangel an Budget. Für beides kann das Konzept der Kleinstwohnung sehr gute Abhilfe schaffen: Sie brauchen schlichtweg weniger Fläche und machen damit das Wohnen bezahlbarer. Aber natürlich haben Kleinstwohnungen auch ihre Grenzen, denn ob ein Mensch damit glücklich wird, hängt sehr viel von der freien Entscheidung ab. Das ist ähnlich wie bei Reisen: Was bin ich bereit, an Komfort einzubüßen? Brauche ich ein Sterne-Hotel oder gehe ich lieber mit dem Zelt auf dem Rücken wandern? Wenn ich mich frei entscheide, kann die Isomatte auf dem Boden mehr Luxus bedeuten als das edle Boxspring-Bett. Komfort ist also etwas sehr Individuelles. Das gilt auch fürs Wohnen. 


Wie gehen Sie bei der Planung von Kleinstwohnungen vor? 

Eines vorweg: Bei unseren Kleinstwohnungen geht es nicht um das private Ferienhäuschen, sondern knallhart um bezahlbaren, sozialen Wohnraum. Daher denken wir bei der Tiny Foundation immer vom Budget aus. Ein Beispiel: Laut offiziellen Zahlen verdienen in Deutschland Auszubildende 1.000 Euro. Zwei-Personenhaushalte haben rund 1.500 Euro zur Verfügung. Der Anteil fürs Wohnen wird bei 30 Prozent angesetzt. Für uns heißt das also, dass wir den Wohnraum so konzipieren müssen, dass er nicht mehr als 330 bzw. 500 Euro Miete kosten darf. Mit unserem Konzept schaffen wir dies als eines der ganz wenigen Architekturbüros.


Ihre Entwürfe sind international beachtet. Was steckt hinter dem Zwei-Punkte-Plan der Tiny Foundation?

Erstens sehen wir nicht mehr als 20 m² Wohnfläche pro Person vor. Meist bleiben wir darunter. Zweitens planen wir grundsätzlich pro Person ein Zimmer ein. Das gilt auch für Geschwister oder Eltern. Das ist der Komfort, auf den wir nicht verzichten möchten. Auf dieser Basis entwerfen wir Grundrisse, die wesentlich kleiner und günstiger sind als klassische Bauweisen – und dennoch jedem Menschen sein eigenes Refugium bieten. Damit bewegen wir uns über der Norm: Hier in Berlin beispielsweise gibt der Gesetzgeber zehn Quadratmeter Wohnfläche pro Person vor. Ein Drei-Personen-Haushalt hat also mindestens 30 m², allerdings beinhalten die Vorschriften klassische Elternschlaf- und Kinderzimmer, also Räume, die jeweils geteilt werden. Das sehe ich absolut kritisch. Wir sind der Überzeugung, dass jeder Mensch ein Recht auf Rückzug hat – egal wie begrenzt der Platz ist.

Helles Tiny House mit Hochbett, Esstisch und großen Fenstern
Links: Rückzugsorte müssen keine klassischen Zimmer sein: Bo Le-Mentzels „Man Cave“ thront wie ein Baumhaus über der Wohnküche. Rechts: Im Stil japanischer Wandbehänge: Handtücher und Bettwäsche hängen zum Trocknen in der Küche. © Bo Le-Mentzel

Was bedeutet dieses „Recht auf Rückzug“ in der Umsetzung?

Unsere Grundrisse bieten auf der vorhandenen Fläche in der Regel mehr, aber eben kleinere Räume als der Standard: Für ein Schlafzimmer etwa planen wir nicht mehr als 2,10 m Länge ein, was bedeutet, dass hier natürlich kein klassisches Eltern-Doppelbett reinpasst. Dafür schaffen wir für die Partner jeweils eigene Refugien, die im Lebensalltag vielleicht sogar wichtiger sind. Je nach Aufteilung muss dies nicht unbedingt ein kompletter Raum sein, sondern vielleicht eine gut gestaltete Nische in der Wohnküche, wie ich sie mir in unserer Wohnung eingerichtet hatte. Ich selbst habe mit meiner 5-köpfigen Familie auf 57 m² gelebt und nichts vermisst. Leider mussten wir im Sommer 2025 ausziehen. Jetzt wohnen wir auf 97 m², was nach den Grundsätzen der Tiny Foundation immer noch als Kleinstwohnung definiert ist.


Wie funktioniert Komfort auf kleinstem Raum? 

Es kommt immer ein wenig darauf an, für wen das Objekt gedacht ist. Nehmen wir etwa eine gemeinschaftlich genutzte Wohnung wie eine WG. Hier bedeutet vor allem Privacy Komfort. Daher statten wir jedes Zimmer, egal wie klein, mit einem Bad und einer Kochgelegenheit aus. Für die Gemeinschaft planen wir je nach Möglichkeit Kommunikationsräume und Treffpunkte. Dazu fördern wir bewusst die Identifikation mit dem Wohnraum – und diese funktioniert am besten, wenn Menschen ihren Space erobern, sprich selbst gestalten. Daher statten wir die Objekte so gut wie nie mit Einbaumöbeln oder ähnlichem aus, sondern geben den zukünftigen Bewohnern die volle Freiheit, sich selbst einzurichten. Denn mit jedem Möbel, mit jedem Accessoire und mit jedem Haken, den ich anbringe, um etwas daran aufzuhängen, wird der Raum mehr zu meinem Zuhause. 

Zwei handgewebte Wandteppiche mit geometrischen Mustern und Fransen
Farbe und Struktur für den Geist: Kleine Wohnungen vertragen mehr Dekoration als man denkt. © DesignTex
Drei gestrickte Poufs in Pastellfarben auf hellem Teppich
Praktisch und schön: Poufs wie die von DesignTex bieten eine attraktive Alternative zu sperrigem Mobiliar. © DesignTex

Sie selbst lebten bis vor Kurzem mit Ihrer Frau und Ihren drei Kindern auf unter 60 m². Wie dürfen wir uns Ihre Wohnung vorstellen? 

Für unser eigenes Zuhause haben wir aus einer ursprünglichen Zweizimmerwohnung fünf Refugien herausgeholt. Geholfen hat uns dabei die Deckenhöhe des Altbaus, die das Einziehen weiterer Ebenen anbietet. So konnten wir zwei separate Kinderzimmer von je drei Quadratmetern Grundfläche schaffen, jedes mit einem Hochbett und dem Spielbereich unten ausgestattet sowie für das Jüngste eine abgesicherte Spiel- und Schlafempore. Meine Frau bevorzugte ein ebenerdiges Bett, daher verlagerten wir in ihrem Reich den Stauraum nach oben. Meinen eigenen Rückzugsort habe ich mir in der Wohnküche als eine Art Baumhaus eingerichtet, das ich scherzhaft meine „Man-Cave“ nannte.


Einen großen hellen Raum attraktiv zu gestalten, ist leicht. Worauf kommt es bei Kleinstwohnungen an? 

Der größte Fehler beim Einrichten kleiner Räume ist, groß zu denken: Eine freie, einfarbige Wand macht keinen kleinen Raum groß. Im Gegenteil. Kleine Räume wirken großzügiger, wenn sie kleinteilig eingerichtet sind. Es ist also ratsam, sich auf den Maßstab einzustellen und den Sinnen durchdachte optische und haptische Reize zu bieten. Das können handschmeichelnde Griffe an den Schränken sein, wechselnde Bilder, farbige Details und natürlich gut gesetztes Licht. Im Prinzip ist es bei kleinen Wohnungen so, als würde ich sie ankleiden: So wie ich beim Anziehen die passenden Accessoires zu meinem Outfit heraussuche, werte ich das Interieur mit stimmigen Details auf. So gesehen ähnelt die Herangehensweise also eher dem Mode- als dem Interior-Design.  

Moderner Raum mit farbenfrohen Teppichen, Stuhl und Stehlampe vor strukturierter Wand
Extrem flexibel: Das Modulsystem der Marke Felice passt sich jedem Grundriss an. Das kleinste Modul misst 65x65cm. © Felice by Lehner Wool
Kinder spielen mit Holzbausteinen auf strukturierten Teppichen in Naturfarben
Gut fürs Raumklima und kleine Räume: Die Teppich-Module aus Schafschurwolle lassen sich beliebig zusammensetzen bzw. erweitern. © Felice by Lehner Wool
Wohnzimmer mit Sofa, Pflanzen und Teppich in Schwarz-Weiß-Muster
Links: Ruhig und trotzdem was fürs Auge: Teppiche mit interessanten Mustern. Rechts: Einfach rumdrehen: Zwei Seiten bringen Abwechslung in kleinen Räumen. © Hafizia

Wie passen eine aufwendige Ausstattung und ein geringes Budget zusammen? 

Detailfreudig muss nicht aufwendig heißen, vor allem wenn wir bei den Lösungen „out of the box“ denken. In unserer Wohnküche beispielsweise hatte ich unterhalb meiner „Man Cave“ Stangen für Handtücher und Bettwäsche angebracht. Das Trocknen sorgte nicht nur für ein gutes Raumklima, sondern hatte auch den dekorativen Aspekt japanischer Wandbehänge. 

Helle Wohnzimmerecke mit roten und beigen Vorhängen, Sessel und Holzdekor
Mehr als Sicht- und Lichtschutz: Textile Vorhänge verändern Funktion und Raumgefühl im Handumdrehen. © Maheen
Schlafzimmer mit dunkler Wand, Holzbett und Textilien in warmen Tönen
Wohlfühloasen im eigenen Style: Identifikation funktioniert am besten, wenn Menschen ihren Wohnraum selbst erobern. © Maheen

Welche besondere Rolle spielen Textilien bei der Ausstattung von Tiny Houses? 

Textilien eignen sich hervorragend zur Ausgestaltung von Kleinstwohnungen, da sie hoch flexibel sind und wunderbar das Nützliche mit dem Schönen verbinden. Farbige Vorhänge etwa bieten nicht nur Sicht-, Licht- und Schallschutz, ich kann auch mit einem Handgriff das Wohngefühl eines Raumes völlig verändern. Interessant strukturierte textile Oberflächen setzen wertvolle Reize, mit denen ich eine kleine Wohnung schnell verändern und spannend halten kann. Kissen und Decken haben oft zwei unterschiedliche Seiten. Mit einem Dreh verändere ich die Farbwelt. Das macht viel aus.

Sofa mit dekorativen Kissen und weichem Knoten-Kissen
Links: Harmonie in der Farbe, Abwechslung in Muster, Struktur und Form. Kreative Ideen wie der Leseknoten beschäftigen den Geist. Rechts: Der Leseknoten von Apelt aus weißem Kunstpelz passt ideal zur Idee eines wolkenweichen Rückzugsraums. © Apelt

Welche textile Gestaltung würden Sie gerne mal in einem Tiny House umsetzen? 

Ich bin ja von Haus aus Architekt und kein Interior Designer. Aber was ich mir wirklich gut vorstellen könnte, wäre, zwei Ebenen völlig unterschiedlich zu gestalten. Etwa wie bei unserer Wohnküche: Warum nicht unten eine moderne Kochzeile einrichten und oben den Schlafbereich so textil ausstatten, dass er wie in Watte oder Wolken gepackt wirkt - also einen Rückzugsort, in den ich im wahrsten Sinne eintauchen kann. Die textile Welt bietet hier ja unendliche Möglichkeiten. 

Fazit

Vordenker wie Bo Le-Mentzel zeigen: Im Konzept der Kleinstwohnungen steckt viel Potenzial, denn sie können helfen, die Wohnungsnot einzudämmen, und Menschen ein gutes Zuhause geben. Dafür müssen aber auch gängige Überzeugungen hinterfragt werden. Wie viel Grundfläche braucht ein Mensch zum Leben, wie verändert sich der Begriff Komfort und worauf kommt es bei der Ausstattung an? Für die Textilindustrie eröffnen sich mit der Tiny Architecture spannende Perspektiven. Denn die Einrichtung kleiner Räume erfordert ein Umdenken: weg vom kahlen Minimalismus, hin zu einer detailfreudigen Ausgestaltung, bei der sowohl funktionalen als auch dekorativen Textilien eine wichtige Rolle zukommt.

Kerstin Männer

Kerstin Männer

Kommunikationsberaterin und freie Journalistin

Kerstin Männer ist seit über 20 Jahren in der Welt des Interior Designs zu Hause. Ihren beruflichen Werdegang startet sie bei der Messe Frankfurt, seit 2011 lebt und arbeitet sie als Kommunikationsberaterin und freie Journalistin in Köln. Ihre besonderen Steckenpferde sind, dort nachzuhaken, wo die Themen Nachhaltigkeit, Transformation, Trend und Design aktiv angepackt werden, und Laufsport. „Vom Endspurt sind wir in Sachen „Welt retten“ sicher noch weit entfernt, aber es ist gut zu sehen, wie immer mehr Player das Tempo deutlich anziehen.“ Foto: Rosetime

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