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Weißer Vorhand

Mit allen Sinnen

06.11.2024

Lesley Collier ist Professorin für Ergotherapie mit einem Schwerpunkt auf Demenz, sensorischer Verarbeitung und sensorischer Integration. Welchen Einfluss Textilien auf eine kognitive Beeinträchtigung haben und wie ihre Forschung parallel für die Gestaltung von Arbeitsräumen genutzt werden kann, sagt sie uns im Interview.

Anna Moldenhauer: Gemeinsam mit der Designforscherin und Textildesignerin Dr. Anke Jakob hast du den wissenschaftlichen Artikel "Sensory Design for Dementia Care – The Benefits of Textiles" veröffentlicht. Wie war dein Zugang zu diesem Thema?

Prof. Lesley Collier: Ich bin Ergotherapeutin und war immer daran interessiert, mit Menschen zu arbeiten, die unter sehr schweren kognitiven Beeinträchtigungen leiden. Gemeinsam mit einem Psychologen habe ich daher nach Möglichkeiten gesucht, um von Demenz Betroffene besser zu erreichen. Es gibt sensorische Ansätze für Kinder mit Lernschwierigkeiten und wir haben geprüft, inwieweit diese auch für Erwachsene hilfreich wären. Das Ergebnis ist ein Raum in einem Krankenhaus, der auf den Prinzipien einer sensorischen Umgebung basiert, aber altersgerechter gestaltet ist. Die dementen Personen sollen sich in dieser Umgebung sicher fühlen und eine Freude an der Interaktion entwickeln. Dafür haben wir unterschiedliche Objekte ausprobiert – im Bereich der Textilien waren es zum Beispiel optische Fasern, Kissen, Decken und Überzüge für die Armlehnen von Stühlen. Diese aktivieren unterschiedliche taktile Empfindungen. Ein paar Jahre später hat mich Dr. Anke Jakob mit der Frage kontaktiert, ob wir die Prinzipien systematischer einsetzen könnten. So sind wir in die Forschung eingestiegen.


Was waren die ersten Ergebnisse?

Prof. Lesley Collier: Das die dementen Personen dank der sensorischen Umgebung mehr kommunizierten und sich ihre Stimmung verbesserte. Dafür haben wir auch die Verwandten miteinbezogen, um individuelle sensorische Angebote zu schaffen – wie raue Stoffe für einen Mann, der früher als Tischler tätig war. Die Haptik hat ihn an seinen Beruf erinnert. Wir haben also viel über die früheren Erfahrungen der Menschen im Umgang mit Stoffen und Textilien nachgedacht und einen sensorischen Werkzeugkasten entwickelt, der dem Bedarf an sensorischem Input entspricht. Die unterschiedliche Haptik von Textilien, seien es Fellelemente oder Details wie Knöpfe, Quasten und Pailletten, regen zu mehr Interaktion und Erkundung an. Wir haben uns daher alle möglichen Accessoires angeschaut, die man auf Stoffen anbringen kann. Das Ziel war es sowohl anregende wie ruhige Bereiche zu schaffen, so dass sich die Personen das Maß an Stimulation wählen können. 

Prof. Lesley Collier
Foto: University of Southampton

Es gibt unterschiedliche Stufen von Demenz, inwiefern habt ihr jeweils den Einfluss der Textilien erforschen können?

Prof. Lesley Collier: Unsere Forschung war auf die schweren Beeinträchtigungen fokussiert, das kann ein spätes Stadium von Demenz sein aber auch eine schwere Lernbehinderung oder eine Beeinträchtigung des Gehirns nach einer Kopfverletzung. Wir haben erkannt, dass je schwerer der Zustand ist, umso singulärer muss der Reiz sein. Ein gesundes Gehirn kann verschiedene Stimulationsstufen gleichzeitig verarbeiten, ein erkranktes Gehirn braucht einen klaren Fokus, um den Sinnesreiz zu verarbeiten. Ich würde also sagen, dass es nicht unbedingt auf die Art des Stoffes ankommt, sondern auf die Komplexität des Reizes, den dieser bietet. 

Woran arbeitest du gerade?

Prof. Lesley Collier: Ich führe gerade eine Studie mit der britischen Universität von Exeter durch, wir untersuchen Therapieansätze für Menschen mit Delirium. Diese Menschen haben nicht unbedingt eine Demenzdiagnose, bevor sie ins Krankenhaus kommen, aber vielleicht haben sie eine Infektion gehabt und die beeinträchtigt ihre kognitiven Fähigkeiten. Und das Problem ist, dass es für ein Delirium keine spezielle Behandlung gibt. Daher bieten wir einen Behandlungsansatz an, der sowohl sensorische als auch physische Elemente zur Rehabilitation des Einzelnen umfasst. Wir arbeiten also mit PhysiotherapeutInnen zusammen, um zu versuchen, das Gehirn zu stimulieren, während sich die PatientInnen im Akutbereich des Krankenhauses befinden. Die Auswirkungen eines Deliriums können gemildert werden, aber nicht mit einfachen Medikamenten. Es braucht die richtige Therapie, und die muss nicht teuer sein. Leider werden PatientInnen oft direkt in ein Pflegeheim überwiesen, anstatt dass ihnen eine Therapie angeboten wird.

Autorin: Anna Moldenhauer, Stylepark Magazin
www.stylepark.com

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