Überspringen
Meyers & Fügmann Studio

Design als Abenteuer

Kommt spielen

09.09.2025

Zu Gast bei Meyers & Fügmann – und eine Einladung, Design wieder als Abenteuer zu verstehen.

Lesedauer: 4 Minuten

Es ist ein heißer Sommertag in Deutschland, als Sarah Meyers beim Zoom-Gespräch immer wieder aus dem Bild springt – um neue Muster, Glasuren oder Stoffproben zu zeigen. Mal schwenkt sie den Laptop durch das Studio, mal wischt sie mit einem Lächeln die Kamera frei. Währenddessen beschreibt Laura Fügmann präzise, was zu sehen ist: Webbindungen, Oberflächen, Lichtbrechungen. Das Gespräch verwandelt sich in ein Kammerspiel der Materialien. Das Licht tanzt auf den Textilien – es wird betrachtet, gefühlt, gespielt. Und am Ende ist klar: Hier wird nicht nur gearbeitet. Hier wird geforscht. So beginnt das Gespräch mit Meyers & Fügmann. Und es ist kein Zufall, dass "Kommt spielen!" fast wie ein Slogan aus ihrem Studio klingt. Gemeint ist ihr Berliner Studio in Mitte, das irgendwo zwischen Werkstatt, Labor und Wunderkammer liegt – und ihre Haltung, die ein rares Gut geworden ist: ehrliche Neugier.

Sarah Meyers und Laura Fügmann
Sarah Meyers und Laura Fügmann, Foto: Lonneke van der Palen.

Bekannt geworden sind Meyers & Fügmann durch Projekte, die sich nicht an der Oberfläche erschöpfen. Ihr jüngster Coup: eine Serie von Vorhangstoffen. Zwei Jahre Entwicklungszeit, ein Uni aus recyceltem Polyester, ein sphärischer Digitaldruck auf schwerer Baumwolle und ein gewebter Farbverlauf, der inspiriert ist vom Ausbleichen von Naturfarben im Sonnenlicht. "Slow Patterns" nennen sie die künstlerische Recherche dahinter – Stoffe, die nicht sofort alles preisgeben. Wie die beiden selbst. Und wie so vieles, das Bestand hat, beginnt auch ihre Geschichte nicht mit einem fertigen Pitch, sondern mit einer offenen Frage. "Wir sind oft mit einem Baukasten aus Experimenten unterwegs", sagt Sarah Meyers. "Aber was daraus wird, entscheidet sich im Dialog." Dieser kann mit einer Färbung beginnen, die auf Licht reagiert – oder mit einer gewebten Struktur, die sich zur skulpturalen Form entfaltet. Mal enden ihre Textilien als digitale Drucke, mal als Objekte, die sich keiner Kategorie zuordnen lassen. "Für den klassischen Designmarkt sind wir manchmal zu forsch", sagt Laura Fügmann. "Für die Kunstwelt zu funktional."

"Intersolar" zur 13. Solartal
"Intersolar" zur 13. Solartal, Pforzheim, Foto: Sander van Wettum (l.), "Intersolar", Foto: Lonneke van der Palen (r.).

Ein Designverständnis im Fluss

Doch genau diese Zwischenposition ist ihre Stärke. Nach mehr als zehn Jahren gemeinsamer Studioarbeit ergänzen sich die beiden nicht nur – sie treiben einander an. Laura, die intuitive Technikerin. Sarah, die materialversessene Rechercheurin – die auch über "Material Porn" spricht. Gemeinsam entwerfen sie Objekte, die sich nicht einem funktionalistischen Dogma unterwerfen, sondern Fragen stellen: Warum muss ein Textil gleichbleiben? Warum darf Keramik nicht mit dem Färbemittel reagieren? Dass beide an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee und dem Sandberg Instituut ausgebildet wurden – mit Stationen in Flächendesign, Keramik und Glas – ist mehr als eine biografische Fußnote. Der Transfer von Material zu Material ist keine stilistische Spielerei, sondern eine Methode. "Ein textiles Muster kann auch zur Glasur führen", sagen sie. Und was sie dabei inspiriert, sind nicht die sozialen Medien oder das letzte Moodboard – sondern der Baumarkt (Sarah) und die Farbfeldmalerei (Laura). Inspiration als Zustand, nicht als Trend.

"Fades made to Fade"
"Fades made to Fade", Foto: Marie Rime.

Farbe als Forschungsfeld

Wer verstehen will, wie tief Meyers & Fügmann in Materialforschung und Farbwahrnehmung eintauchen, sollte zwei aktuelle Projekte betrachten: Komplementärzustände, ihre Installation mit dem Berliner Farbhersteller Kolors, und die Stoffkollektion Frequency, entstanden für Kvadrat Residential. In Komplementärzustände wird Farbe nicht als statisches Attribut verstanden, sondern als dynamisches Zusammenspiel aus Licht, Struktur und Wahrnehmung. Gewebte Swatches und Materialexperimente formieren sich zu einem poetischen, physikalischen Farbspiel. Inspiriert von Josef Albers bis Robert Wilson wird der Webstuhl zum Instrument der Farbmischung – und das textile Objekt zum Medium zwischen Theorie und Intuition. Noch weiter führt ihre textile Recherche “Fades made to fade”, die letztes Jahr im Lobe Block in Berlin präsentiert wurde. Die Farbverläufe entfalten sich über Zeit, sichtbar nur im Zusammenspiel mit Sonnenstrahlen – eine stille, fast meditative Transformation. Ein Textil, das nicht sofort gelesen werden will, sondern lebt. Und das die Grenzen zwischen Dekoration und Interaktion auf poetische Weise verschwimmen lässt.

"Das Spannende ist, dass das Material seine Umgebung mitdenkt", sagt Sarah. "Es reagiert, es entwickelt sich. Und genau darin liegt sein Potenzial – für Räume, in denen Veränderung Teil des Konzepts ist." Die Anwendungen reichen von temporären Installationen bis zu Architekturtextilien, von Hotellobbys bis zu kuratierten Interieurs. Derzeit forschen die beiden weiter an der UV-Technologie – mit dem Ziel, neue Varianten, Farbtiefen und textile Verhaltensweisen zu entwickeln. "Warum müssen Stoffe zwanzig Jahre in gleicher Form und Farbe bleiben, während die Patina von Holz und Leder gefeiert wird?"

"Vivid" Grün
"Vivid": vor dem Kontakt mit Sonnenlicht (l.), "Vivid": nach dem Kontakt mit Sonnenlicht (r.), Foto: Meyers & Fügmann.
"Vivid" Blau
"Vivid": vor dem Kontakt mit Sonnenlicht (l.), "Vivid": nach dem Kontakt mit Sonnenlicht (r.), Foto: Meyers & Fügmann.

Kooperation statt Präsentation

Was Meyers & Fügmann besonders auszeichnet, ist ihr Umgang mit der Industrie. Kooperationen verstehen sie nicht als Endpunkt, sondern als Anfang eines Austauschs. Sie reisen nicht mit fertigen Produkten an, sondern mit Materialien, Skizzen und Mustern. "Wir bringen Sachen zum Zeigen und Anfassen mit – manchmal auch Dinge, die wir selbst nicht ganz erklären können. Aber man sieht sofort, worauf jemand anspringt“, sagt Sarah. Gerade in Unternehmen im deutschsprachigen Raum sehen sie enormes Potenzial. "In vielen Betrieben steckt ein immenses Wissen, eine tiefe Materialkompetenz – und oft auch eine große Offenheit für neue Ideen", sagt Laura. Der Reiz liegt für sie darin, diesen Erfahrungsschatz mit ihren experimentellen Ansätzen zu verweben. Nicht als Widerspruch, sondern als gegenseitige Bereicherung – über Fertigungsweisen, Bedürfnisse, Denkweisen hinweg. "Wir arbeiten gern mit Menschen, die etwas können, was wir nicht können", sagen sie. 

Durch ihre langjährige Zusammenarbeit mit Hella Jongerius und ihr Masterstudium in Amsterdam blicken sie auf den europäischen Designbegriff. "In den Niederlanden oder in England wird viel offener mit dem Begriff Design umgegangen", sagt Laura. "Hier in Deutschland spüren wir oft das Bedürfnis, Ergebnisse zu sehen. Nicht Prozesse." Dabei wäre gerade Letzteres wichtig – auch in Bezug auf Förderung. Formate wie das inzwischen eingestellte Stipendienprogramm Designfarm Berlin, die Studios wie ihres durch experimentelle Phasen begleitet haben, fehlen heute. Unverändert groß ist die kreative Energie – und die Hoffnung, dass sich das Verständnis von Design in Deutschland verändert und wächst.

Was bleibt nach dem Gespräch mit Meyers & Fügmann? Der Wunsch, selbst wieder ein Projekt in die Hand zu nehmen. Vor allem aber eine Haltung: dass Design nicht bloß das schöne Ergebnis ist, sondern der lebendige Prozess dahin. Vielleicht braucht es genau solche Positionen, damit Design in Deutschland wieder atmen kann. Weniger Statements, mehr Gespräche. Und ganz sicher: mehr Lust, zu spielen.

Bemalte Keramik
Keramik: "Spray Plate" (l.), Keramik: "Duotone" (m.+r.)
stylepark-logo

Tanja Heuchele

stylepark Magazin

Das könnte Sie auch interessieren: