Überspringen
Ausstellung „Imagine Coral Reef. Regenerative Design“

Regeneratives Design - Nur ein neues Schlagwort?

29.10.2024

Was steckt hinter regenerativem Design und wird es nur ein neues Schlagwort in der Designszene mit begrenzter Halbwertszeit sein oder sich zu einem zukunftsträchtigen Ansatz entwickeln?

Dauerregen mit Hochwasser im Süden Deutschlands und in Florida, Hitzewellen in Griechenland, der Türkei und Mexiko mit Temperaturen von über 40 Grad – die Liste der aktuellen Wettergeschehnisse und ihrer Auswirkungen ließe sich beliebig fortsetzen. Ungeachtet der Tatsache, dass einzelne Wetterkapriolen nicht eindeutig dem Klimawandel zugeordnet werden können, sind sich die Experten allerdings in zwei Dingen einig: Der Klimawandel vollzieht sich und ist vom Menschen gemacht. Und spätestens, wenn das eigene Hab und Gut auf einer dreckig braunen Brühe umherschwimmt und das in einem Gebiet, in dem es seit Menschengedenken kein ähnliches Vorkommen gab, wird der Letzte erkennen, dass wir unseren Planeten nicht weiter in dieser Form behandeln können – zumindest dann nicht, wenn wir ihn den nachfolgenden Generationen in einem lebenswerten Zustand hinterlassen möchten. 

Die Anstrengungen der einzelnen Akteure sind vielfältig. Jeder kann seinen Beitrag leisten – und sei er noch so klein. Nachhaltigkeit bzw. nachhaltiges Denken und Handeln ist aus unserem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Doch reicht das alleine aus? Dazu schauen wir einfach einmal, was Nachhaltigkeit bedeutet. Der Begriff kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft und besagt, dass dem Wald nur so viel Holz entnommen werden darf, wie permanent nachwächst. In der Zwischenzeit wurde er auf den Umgang mit allen Ressourcen erweitert und basiert auf drei Säulen: Umwelt (ökologisch tragfähig), Mensch (sozial gerecht) und Ökonomie (wirtschaftlich effizient). Letztendlich geht es also darum, nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen als nachwachsen. Oder: Den Status Quo zu halten und der Umwelt nicht mehr Schaden zuzufügen. 

Ausstellung „Regenerative?“ von FranklinTill
Die Future Materials Ausstellung mit dem Titel „Regenerative?“ von FranklinTill auf der Heimtextil 2024. Foto: Messe Frankfurt Exhibition GmbH/Pietro Sutera

Regeneratives Design

Auf den Frankfurter Messen Heimtextil und Techtextil wurde nun viel über „Regeneratives Design“ diskutiert und die Design-Zukunftsberatung FranklinTill hatte dazu eine beeindruckende Ausstellung mit hochmodernen Textilien und Materialien geschaffen, um die Prinzipien des regenerativen Designs zu veranschaulichen. Nun gilt es erst einmal zu klären, was regeneratives Design ist? Das haben wir Dr. Harald Gründl, Designer und Designtheoretiker, Partner des österreichischen Designstudios EOOS und Leiter des IDRV – Institute of Design Research Vienna, gefragt: „Darauf gibt es eine ganze Menge Antworten. Eine sehr kurze wäre: Regeneratives Design ist die Anwendung der Prinzipien der Natur im Design.“ Soll heißen, eine Gesellschaft zu schaffen, die die Natur als Vorbild nimmt und ihre Prinzipien in die Gestaltung einfließen lässt, um natürlichen Systemen etwas Positives zurückzugeben und sie zu heilen. Regeneratives Design ist keine neue Erfindung. Seinen Ursprung hat es in den 1970er-Jahren in der Landwirtschaft und im Gartenbau. Eng damit verknüpft ist das Konzept der Permakultur, das darauf basiert, Ökosysteme und Kreisläufe in der Natur zu beobachten und nachzuahmen. 

„Regeneratives Design ist die Anwendung der Prinzipien der Natur im Design“

Es war dann John T. Lyle, Professor für Landschaftsarchitektur, der den Bogen weiter spannte und das Konzept der regenerativen Landwirtschaft auf alle Systeme übertrug. 1994 erschien sein Buch „Regenerative Design for Sustainable Development“. „Dieses Buch bietet Bauingenieuren, Architekten, Land-Entwicklungsplanern und anderen praktische, realistische Ansätze [...]. Der Schwerpunkt liegt auf bewährten regenerativen Praktiken für die Wassernutzung, die Flächennutzung, die Energienutzung und die Gebäudeplanung. Vor allem aber werden Wege aufgezeigt, wie die Verbindung zwischen Mensch und Natur, zwischen Kunst und Wissenschaft und zwischen Technologie und Alltag wiederhergestellt werden kann“, heißt es in der Beschreibung. 

Stuhlentwurf „Branchwood Nr. 4“ von Jacob Niemann
Der Stuhlentwurf „Branchwood Nr. 4“ von Jacob Niemann steht exemplarisch für Spielregel Nr. 1 des regenerativen Designs: Lokale Regeln beachten. Er ist gefertigt aus Akazienholz, den geschälten Ästen eines Baumes aus dem Garten von Niemann. Es wurden ausschließlich Äste verwendet, die sich ohne Bearbeitung zu diesem Stuhl zusammensetzen ließen. Foto: Jacob Niemann

„Ein sehr kluges und inspirierendes Buch zum Thema“, so Harald Gründl, „hat auch Daniel Christian Wahl 2016 geschrieben.“ Wahl hat Abschlüsse in Biologie, Holistic Science sowie einen Doktortitel in Design zum Thema „Design for Human and Planetary Health“ und arbeitet heute lokal und international als Berater, Pädagoge und Aktivist. „Damals ist das Thema noch nicht so richtig wahrgenommen worden“, meint Gründl, „doch je dramatischer die Situation wird, desto mehr reflektiert man die Forschung wieder und versucht, sie weiterzuentwickeln.“ 

Korallen als natürliches Vorbild für Designprozesse

Gründl, der sich bereits seit vielen Jahren in Praxis und Theorie mit Fragen sozial und ökologisch nachhaltiger Gestaltung beschäftigt und ebenfalls Autor zahlreicher Bücher ist, weist in diesem Zusammenhang auf die Ausstellung „Imagine Coral Reef. Regenerative Design“ hin, die im Rahmen der diskursiven Plattform „More than Human“ von 3. Mai bis 23. Juni 2024 im Kunstgewerbemuseum in Berlin zu sehen war. Während das IDRV für die Begleitforschung verantwortlich ist, trägt EOOS die Ausstellungsarchitektur bei. Sie widmet sich den komplexen Ökosystemen der Korallen mit dem Ziel, die Logik der Natur auf Designprozesse zu übertragen und damit Leitlinien für regeneratives Design zu etablieren.

Korallenbaum
Dieser große Korallenbaum aus dem Jahrhundert ist in der Wunderkammer der Ausstellung zu finden. Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum

Bei der Ausstellung handelt es sich um eine Wanderausstellung, die bereits Stationen in Sarajevo (Bosnien-Herzegowina) und Tirana (Albanien) hinter sich hat. „Ein ganz wichtiger Aspekt ist, dass wir vor Ort mit lokalen Design- oder Kunst-Universitäten kooperieren“, berichtet Gründl. „Sowohl in Sarajevo wie auch in Tirana haben wir mit den Studierenden einen zweitägigen Workshop veranstaltet, in dem sie regenerative Designprinzipien erproben.“ Die gewonnenen Ergebnisse werden schließlich in die Ausstellung integriert, die sich auf diese Weise immer wieder neu formuliert. „Und natürlich geht auch unsere Begleitforschung weiter“, so Gründl.

In Berlin hat man allerdings auf einen Workshop verzichtet. Vielmehr wurde die Ausstellung dort in Zusammenarbeit mit der Kuratorin des Kunstgewerbemuseums, Claudia Banz, um eine „Spekulative Wunderkammer“ erweitert, die das Konzept von Kunst- und Wunderkammern reaktiviert. Sie zeigt Objekte aus den Sammlungen des Kunstgewerbemuseums und vernetzt diese mit Leihgaben aus dem Naturkundemuseum sowie zeitgenössischen Design-Projekten. „Das war ein sehr schönes Projekt, denn es zeigt, wie man in einer bestimmten kulturellen Ausformung mit Natur umgegangen ist. Beispielsweise wurde bei einer Muschel die Oberfläche abgetragen, um die Perlmuttschicht zu Tage zu fördern. Damit aber nicht genug. Darauf wurden beispielsweise bestimmte mythologische Szenen gemalt. Die Menschen zu dieser Zeit hatten einen ganz spezifischen Zugang zur Natur. Sie war nicht schön oder selten genug, sondern musste noch schöner gemacht werden“, fasst Gründl zusammen. „Heute kapitalisieren wir die Natur.“ Damit meint Gründl, dass wir uns Funktionsweisen der Natur abschauen, sie in ein Produkt übersetzen, um letztendlich Kapital daraus zu schlagen. „Die Ausstellung nimmt die Kapitalismuskritik aber keinesfalls in den Vordergrund, doch stoßen wir mit unserer heutigen Design-Auffassung an Grenzen.“ 

„Heute kapitalisieren wir die Natur.“

Design im Umbruch

Zwei weitere Bereiche der Ausstellung sind der „Coral Reef Room“ und das „Regenerative Design Lab“. Der „Coral Reef Room“ ist ein immersiver, szenischer Raum, in dem Makrokorallen die Besucherinnen und Besucher in ein Riff mit Korallenbleiche führt. In diesem Zustand zwischen Tod und Überleben beginnen manche Korallenarten im UV-Licht zu fluoreszieren. Das „Regenerative Design Lab“ erweckt die sieben „Spielregeln“ für regeneratives Design zum Leben. Diese wurden auf Basis der vom deutschen Biologen und Philosophen Andreas Weber in seinem Buch „Enlivenment“ beschriebenen Leitlinien für die wechselseitige Produktivität in der Natur entwickelt und in einem Manifest, den „Coral Reef Regenerative Design Principles (V1.0)“ zusammengefasst. Sieben Exponate stehen jeweils für ein Designprinzip, das sie beispielhaft repräsentieren. 

 

Diagramm mit verschiedenen Formen von degenerativen und regenerativen Handlungsmustern
Dieses Diagramm zeigt die verschiedenen Formen von degenerativen und regenerativen Handlungsmustern. Abbildung: IDRV, adaptiert von Reed, Wahl, Hutchings, Storm

Auch die Londoner Design-Zukunftsberatung FranklinTill hat sich mit dem Thema regeneratives Design auseinandergesetzt. In einem Interview mit Scandinavian Mind appelliert Caroline Till, Mitbegründerin des Büros, dass Begriffe wie Kreislaufwirtschaft und regeneratives Design im Zuge der Klimanotfall-Design-Agenda nicht einfach zu Worthülsen werden dürfen. Vielmehr wünsche sie sich eine gemeinsame Definition, an der man sich orientieren könne. Das Büro FranklinTill habe das mit seiner Future Materials Library mit dem Titel „Regenerative?“, die auf der Heimtextil im Januar zu sehen war, versucht und neun Prinzipien definiert. Sie sollen ein Mini-Manifest dafür darstellen, was regeneratives Design und damit auch regeneratives Material ist. „Das heißt nicht, dass jedes Material all diese neun Prinzipien abdecken muss, aber wir müssen einen Pfahl in den Boden rammen und sagen, dass wir sie ganzheitlich anerkennen und dies das vollständige Bild der Regeneration ist. Innerhalb eines Unternehmens kann man sich auf einen, zwei oder drei dieser Bereiche konzentrieren, während man gleichzeitig anerkennt, dass es noch andere Bereiche zu berücksichtigen gibt“, so Caroline Till in dem Interview. Sie ist weiterhin der Überzeugung, dass die Design-Branche eine Identitätskrise durchmache. Bisher habe das menschenzentrierte Design im Mittelpunkt gestanden, aber nun müsse man sich fragen, wo bleibt dabei unsere Erde? „Jetzt sind wir auf der Suche nach einer neuen Methode, die uns verbindet. Es geht um die Koexistenz von Mensch und Planet oder um die Vernetzung – und Regeneration ist ein wirklich wichtiger Teil davon.“ 

Auch Harald Gründl appelliert: „Wenn wir Design weiterhin als etwas sehen, das ein Problem lösen soll, wird es schwierig. Nun gilt es, Netzwerke zu schaffen.“ Und er hat auch gleich zwei Begriffe parat, die es lohnt auf das Designschaffen zu übertragen: Lebendigkeit und Gedeihen. 

Die Ausstellung „Imagine Coral Reef. Regenerative Design“ wird durch Mittel des Österreichischen Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten und des Österreichischen Kulturforums Berlin finanziert. Unterstützt durch das österreichische Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport.

Sieben Spielregeln für regeneratives Design

  1. Lokale Regeln beachten: Ökologische Prinzipien werden je nach Ort und Kultur durch Design neu imaginiert.
  2. Gestalten der Natur/Kultur-Beziehung: Menschliche und nicht-menschliche Akteure in einem holistischen Designprozess berücksichtigen – Posthumanismus statt „Human-centered Design“.
  3. Gemeingüter bewahren: Designprozesse welche die Meere, die Atmosphäre (CO2!) und die Biodiversität des Lebens fördern, schützen und regenerativ nutzen. 
  4. Materiellen Ressourcen immateriellen Sinn geben: Die Ästhetik und Weisheit der Natur als Inspiration für Designlösungen. 
  5. Schöpferische Verbindungen eingehen: Die Gestaltung von Kultur folgt dem natürlichen Prinzip des dynamischen Gleichgewichts, das Lebendigkeit und Transformationsfähigkeit durch permanente Kreativität erschafft. 
  6. Design ohne Copyright: Weg mit dem Urheberrecht und Patenten! Open Source Design! Aus dem Spielen mit Vorhandenem wird Neues (Creative Commons). 
  7. Ressourcentausch ermöglichen: Aus Abfall wird Nahrung für Neues. Die Gestaltung von biologischen und technischen Kreisläufen ohne weitere Ressourcenausbeutung bestimmt das Design (zirkuläre Designregeln für die Kreislaufwirtschaft, Cradle-to-Cradle-Prinzipien). Quelle: IDRV 

Autorin: Bianca Schmidt, InteriorFashion

Titelbild: Manche Korallenarten beginnen im Zustand zwischen Tod und Überleben im UV-Licht zu fluoreszieren. Simuliert wird dies in der Ausstellung „Imagine Coral Reef. Regenerative Design“ mithilfe von übergroßen, vom EOOS-Team handgefertigten Korallenobjekten, die aus 30 km langen Papierstreifen bestehen. Foto: EOOS

Das könnte Sie auch interessieren:

01 / 04