Texpertise Network: Felix, wann hast du das letzte Mal eine Wand tapeziert?
Felix Diener (lacht): Das kann ich ziemlich genau sagen: Das war im Jahr 1999. Damals habe ich nach dem Abitur eine Ausbildung zum Raumausstatter gemacht. Dort habe ich gelernt, wie man Gardinen näht, Sofas polstert und ganz allein einen Raum tapeziert.
Texpertise Network: Wusstest du damals schon, dass du Tapeten designen willst?
Felix Diener: Nein, das kam erst später. Nach der Lehre war für mich erst mal klar: Ich will etwas mit Stoffen machen. Deshalb habe ich nach der Ausbildung ein Studium zum Textilingenieur begonnen. Da ist mir zum ersten Mal so richtig bewusst geworden, in welchem Ausmaß uns Stoffe im Alltag umgeben. Wir tragen sie ja nicht nur als Kleidung am Körper oder sitzen auf ihnen, wenn wir Filme und Serien streamen – Stoffe stecken als technische Textilien in Autos, Gebäuden, Medizinprodukten und sogar in Flugzeugen. Damals habe ich für mich entdeckt, was bis heute den Kern meiner Designtätigkeit ausmacht: Design und Technik miteinander zu verbinden. Als meine Professoren, viele von ihnen klassische Ingenieure, meine ersten textilen Entwürfe sahen, haben sie mich ermutigt, diesen Weg weiterzugehen. Einige haben mich regelrecht bekniet, ins Textildesign zu wechseln. Und das habe ich dann auch getan.
Texpertise Network: Wo kommen dir die besten Ideen für neue Tapetendesigns?
Felix Diener: Ich weiß, das ist so etwas wie der Klassiker als Antwort auf diese Frage, aber es ist wirklich wahr: Die besten Ideen kommen mir unter der Dusche. Auch die Natur ist eine wichtige Inspirationsquelle, ebenso wie Kunst, Ausstellungen und das alltägliche Leben um mich herum. Aber auch auf Messen wie der Heimtextil finde ich viele Anregungen für neue Muster, Designs, Farben und Formen. Dort präsentieren ja regelmäßig Ateliers aus aller Welt ihre neuesten Wohnideen.
Texpertise Network: Vor welchen Herausforderungen stehst du bei der Entwicklung neuer Tapetendesigns?
Felix Diener: Die größte Herausforderung für mich als Designer hier bei der Marburger Tapetenfabrik ist der Spagat zwischen Masse und Kreativität. Lasst mich das kurz erklären: Wir liefern jedes Jahr rund 10 Millionen Rollen Tapete in über 90 Länder. Das sind 45.000 Rollen pro Tag – oder mehr als 120.000 Kilometer Wandbekleidung. Damit könnte man die Erde dreimal umwickeln. Das zeigt: Tapete ist ein Massenprodukt, das täglich von Millionen Menschen auf der ganzen Welt gekauft wird. Neue Designs zu entwerfen, ist aber immer ein sehr individueller Prozess – da geht es um Liebe zum Detail, um individuelle Ästhetik und Formen. Ich befinde mich bei der Entwicklung also immer in dem Spannungsfeld, einerseits ein Massenprodukt zu entwerfen, das vielen Menschen gefällt, und andererseits das Design so zu gestalten, dass es in erster Linie mir selbst gefällt. Aber genau das macht auch den Reiz aus.
Texpertise Network: Dank Smartphone, Social Media und globaler Vernetzung ist für uns alles immer nur ein paar Klicks entfernt. Welche Bedeutung hat Tapete für dich in einer digitalen Welt?
Felix Diener: Ich habe schon lange das Gefühl, dass wir durch die glatten Oberflächen unserer Smartphones, mit denen wir uns durch die Welt, unser Leben, unsere Freunde und Familien wischen, ein Stück weit den Wert für unser haptisches Empfinden verloren haben. Dabei ist das Bedürfnis nach haptischen Erfahrungen tief in uns verwurzelt. Wer zum Beispiel Kleidung im Internet bestellt, legt großen Wert darauf, sie erst dann zu bezahlen, wenn er sie anprobiert und angefasst, also gefühlt hat. Ich bin überzeugt davon: Das haptische Erlebnis ist etwas, was der Mensch braucht. Die Menschen wollen die Welt berühren, wollen sie haptisch erfahren. Ich glaube, dass wir das viel zu lange ignoriert haben und viele von uns spüren das auch. Diese Sehnsucht nach dem Haptischen zeigt sich auch im Heimtextilbereich: Warum boomt gerade Bettwäsche aus Leinen? Weil Leinen ein ganz anderes haptisches Erlebnis vermittelt als normale Bettwäsche. Und das gilt für mich auch für Tapeten: Eine weiße Wand ist wie ein Bildschirm – einfach nur glatt. Eine Tapete dagegen hat Struktur, hat Charakter, Glanz, Farben, Formen. Mit Tapete passiert was an der Wand!
Texpertise Network: Ihr bietet auch Tapete aus Lehm an. Ist das ein Scherzartikel?
Felix Diener: Keineswegs. Die Tapete haben wir sogar zum Patent angemeldet!
Texpertise Network: Tapete aus Lehm? Euer Ernst?
Felix Diener: Das ist unser voller Ernst! Ich sehe schon, ich muss kurz die Vorgeschichte erzählen: Wir haben hier bei uns eine eigene Abteilung für Forschung und Entwicklung. Die wird seit drei Jahren von einem promovierten Chemiker geleitet. Er hat dort auch ein eigenes Labor und experimentiert mit allen möglichen Pasten für Tapeten, die wir aus verschiedenen Rohstoffen alle selbst herstellen. Und dieser Chemiker ist richtig ambitioniert! Fast jede Woche kommt er mit einer neuen Tapetenidee zu mir. Eines Tages hatte er die Idee zur Lehmtapete, bei der die oberste Schicht zum Großteil aus Lehm besteht. Ich dachte sofort: Super Idee! Der Lehm, den wir dafür verwenden, kommt übrigens aus einem Tagebau hier in der Region. Viele Baumärkte sind geradezu verrückt nach der Lehmtapete. Das hat sicher auch damit zu tun, dass die Nachfrage der Konsumenten nach nachhaltigen Produkten steigt.
Texpertise Network: Vielen Dank für das Gespräch, Felix.
Über die Marburger Tapetenfabrik
Designer Felix Diener ist seit 2019 Kreativdirektor bei der Marburger Tapetenfabrik. Das 1845 gegründete Familienunternehmen hat nach eigenen Angaben ständig mehr als 5000 Tapeten im Programm und erwirtschaftet mit rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Jahresumsatz von 50 Millionen Euro. Für neue Tapetenmotive arbeitet die Marburger Tapetenfabrik, deren Tapeten unter anderem in Hotels der Ketten Hilton, Radisson, Marriott und Grand Hyatt hängen, regelmäßig mit bekannten Persönlichkeiten zusammen – darunter waren bisher Pop-Art-Künstler Allen Jones, Malerin Niki de Saint Phalle, Designer Karim Rashid, Modeschöpfer Harald Glööckler, Designer Luigi Colani und Stararchitektin Zaha Hadid. Besondere Tapeten des Unternehmens: 1965 erfand es die Textiltapete; es folgten Tapeten zur Abschirmung elektromagnetischer Felder, antibakterielle Tapeten und Infrarot-Tapeten.