Texpertise Network: Prakash, lass uns mit deiner Hintergrundgeschichte starten. Wie kam es zur Gründung von "Fashion For Biodiversity"?
Chandra Prakash: Meine Qualifikation ist eine Mischung aus Modedesign und Nachhaltigkeit im Business Management. Durch diese Vielfalt wurde mir klar, dass es keine nachhaltige Mode geben kann, wenn die lokale Artenvielfalt der Produktionsstandorte und deren Umgebungen nicht geschützt wird.
Auf meiner Seidenfarm in Indien, heute Marktführer der sogenannten Peace Silk, habe ich schließlich ein Experiment durchgeführt und festgestellt, dass das Dorf, in dem meine Rohstoffe regenerativ produziert wurden, im Laufe der Jahre an Artenvielfalt gewonnen hat. Die Ökobilanz des regenerativen Standortes war großartig und ich habe dafür mehrere Preise erhalten.
In dieser Zeit begann ich, Präzisionslandwirtschaft zu nutzen, um meine weit voneinander entfernt liegenden Standorte zu verwalten. Dabei erkannte ich das Potenzial der Weltraumtechnologie in Bezug auf Nachhaltigkeit. Schließlich gründete ich 2021 "Fashion For Biodiversity" mit der Mission, nachhaltige Mode herzustellen, deren Lieferkette in Echtzeit gemanagt werden kann.
Texpertise Network: Wie kann dein Geschäftsmodell konkret zu einer besseren Artenvielfalt in der Rohstoffproduktion für Mode beitragen?
Chandra Prakash: "Fashion For Biodiversity" verbindet Biodiversität, Blockchain und Rückverfolgbarkeit auf innovative Weise. Mit Geodaten, die über Satelliten und Drohnen gesammelt werden, wird mit Hilfe der Blockchain-Technologie die Rückverfolgbarkeit von Rohstoffen verbessert. Darüber hinaus können die Auswirkungen des Anbaus auf die Artenvielfalt ermittelt werden und so zum Schutz der biologischen Vielfalt beitragen.
Unsere Technologie fördert eine nachhaltige Ressourcenbeschaffung und sorgt dafür, dass Textile Lieferketten nicht zum Artensterben beitragen. Im Einklang mit der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 sowie der EU CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) und dem ESRS E4 (European Sustainability Reporting) kann sie Transparenz und Verantwortlichkeit fördern, einschließlich Umweltschutz und nachhaltiger Entwicklungspraktiken.
Zusätzlich helfen wir Modemarken dabei, auf aktuelle oder zukünftige Gesetze in Bezug auf Umwelt und Biodiversität vorbereitet zu sein. Unsere Dateneingabe auf dem Rohstoff-Level erfolgt ohne menschliches Eingreifen und wird durch Geodaten in Verbindung mit der EU-Green-Claims-Richtlinie unterstützt.
Texpertise Network: Wer sind eure Kunden?
Chandra Prakash: Zu unseren Kunden gehören Modemarken, Rohstoffproduzenten und Landwirte, Nachhaltigkeitsberatungsunternehmen und sogar einige Versicherungsunternehmen.
Texpertise Network: Was rätst du Unternehmen, die Rückverfolgbarkeit innerhalb ihrer Lieferketten intergrieren möchten?
Chandra Prakash: Mein Rat und Appell an meine potenziellen Kunden ist, die Rückverfolgbarkeit nicht nur als ein erzwungenes Instrument der Gesetzgebung oder Compliance zu betrachten, sondern sie zu nutzen, um ihre Lieferkette umweltfreundlicher, effektiver und ressourceneffizienter zu gestalten und so eine langfristige Rentabilität zu erreichen. Denn wie jeder weiß, gibt es auf einem toten Planeten nichts zu erwirtschaften.
Texpertise Network: Stichwort Rentabilität: So ein Service erfordert zunächst aber einen hohen Invest, oder?
Chandra Prakash: Wir bieten drei verschiedene Services an: Static Traceability, Audio-Visual Traceability mit Bildern und Videos der Lieferkette sowie Virtual Reality, das sich auch auf B2C-Ebene für ein einzigartiges Retail-Erlebnis und als Tool zur Kundengewinnung eignet. Abhängig von der Anzahl der zu verfolgenden Produkte beginnt unser statisches Tracking bei 99 Euro, das audiovisuelle Tracking bei 399 Euro.
Texpertise Network: Der jüngste Rückzug der EU-Kommission vom Gesetz für Pestizidverringerung und die Aufschiebung des Lieferkettengesetzes durch die EU dürften ein schwerer Schlag für deine Arbeit sein. Wie denkst du darüber?
Chandra Prakash: Meiner Meinung nach ist die Aufhebung der Sustainable Use Regulation, die darauf abzielte, den Pestizideinsatz bis 2030 zu halbieren, sehr bedauerlich. Die Aufschiebung der Corporate Sustainability Due Diligence Directive der EU zeigt die Kurzsichtigkeit einiger politischer Entscheidungsträger.
In beiden Fällen habe ich auch das Gefühl, dass es sich zwar um sehr wichtige Gesetze für eine nachhaltige Zukunft handelt, es aber noch nicht klar ist, wie man sie richtig umsetzt, um die jeweiligen Ziele zu erreichen. EU-Unternehmen sind bereits mit einem enormen bürokratischen Aufwand konfrontiert, und noch mehr Bürokratie kann kontraproduktiv sein. "Fashion For Biodiversity" kann mit seinen Echtzeitdaten ein guter Partner für Modeunternehmen sein, um diese wichtigen Gesetze und Richtlinien umzusetzen.
Modeindustrie und Artenvielfalt
"Nach Angaben des Weltwirtschaftsforums sind mehr als 50 % des globalen BIP (Bruttoweltprodukt) stark oder mäßig von der biologischen Vielfalt abhängig. Die aktuelle Rohstoffproduktion für Mode widerspricht dabei oft dem Bestreben, die Artenvielfalt zu erhalten. So werden zum Beispiel jedes Jahr etwa 300 Millionen Bäume abgeholzt, während die CO2-Emissionen um etwa 10 % steigen." (Chandra Prakash)
Begriffe der Nachhaltigkeit im Überblick
Unter Präzisionslandwirtschaft (PA) versteht man ein Konzept der landwirtschaftlichen Betriebsführung, das durch den Einsatz digitaler Technologien zur Überwachung und Optimierung landwirtschaftlicher Produktionsverfahren gekennzeichnet ist. Anstatt z.B. ein ganzes landwirtschaftliches Feld mit derselben Menge an Düngemitteln zu behandeln, werden in der PA unterschiedliche Gegebenheiten innerhalb eines Feldes gemessen und die Dünge- oder Erntestrategie entsprechend angepasst. In ähnlicher Weise werden der Bedarf und der Zustand einzelner Tiere in größeren Herden ermittelt und die Fütterung pro Tier wird dementsprechend optimiert.
Unter Biodiversität versteht man die Vielfalt des Lebens auf der Erde. Die biologische Vielfalt ist von entscheidender Bedeutung für die Gesundheit und Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen und deren Prozessen, die für den Menschen überlebenswichtig sind. Zum Beispiel Bestäubung durch Insekten, Wasserkreisläufe und Klimaregulierung.
Blockchain ist eine Technologie, die für die Dokumentation bestimmter Transaktionen genutzt wird. Sie macht Daten sicher, transparent und schützt vor Manipulation. Blockchains werden derzeit in der Modebranche eingesetzt, um einen digitalen Produktpass für ein transparentes Lieferkettenmanagement und eine digitale Identitätsprüfung zu erstellen.
Rückverfolgbarkeit ist die Fähigkeit, etwas zu seinem Ursprung zurückzuverfolgen. In textilen Lieferketten bezieht es sich auf die Fähigkeit, die Reise eines Artikels über alle Phasen der Rohstoffbeschaffung, Faser-, Garn- und Textilproduktion bis hin zum CMT (Cut-Make-Trim-Prozess) zu verfolgen.