Jährlich sterben an Herz-Kreislauf-Erkrankungen weltweit über 17 Millionen Menschen. Nach Schätzungen könnte die Zahl bis 2030 sogar auf über 23 Millionen Fälle steigen. Dass die Frage, wie sich das Leben von Menschen mit einem derartigen Leiden verlängern lässt, auch bei der Textilforschung ganz oben steht, beweist eine mit dem Techtextil Innovation Award 2022 in der Kategorie „New Product“ ausgezeichnete Neuentwicklung: eine gewebte Herzklappe, die ohne Nachkonfektionierung auskommt. Entwickelt hat sie das Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der TU Dresden gemeinsam mit Medizinprodukteherstellern und Herzchirurgen aus dem Herzzentrum Dresden und der Uniklinik Würzburg.
Künstliche Herzklappen künftig aus Textil?
„Das ist die erste gewebte Herzklappe, die ohne eine einzige Naht oder sonstige Fügetechnik auskommt“, sagt Dr.-Ing. Dilbar Aibibu, Forschungsgruppenleiterin Bio- und Medizintextilien am ITM. Aufgrund der komplexen Geometrie und Funktion von Herzklappen ließen sich diese bisher nicht in dieser Form weben. Möglich wurde der Quantensprung nun durch eine in Dresden entwickelte Fertigungstechnologie auf Basis der Jacquard-Spulenwebtechnik. Laut ITM ist es damit erstmals möglich, Schläuche mit eingebauten Ventilen komplett ohne Nähschritte auf einer Webmaschine zu weben. Erste Versuche zeigten die gute Funktionalität der eingewebten Ventile. Die Ergebnisse seien eine hervorragende Basis für die Weiterentwicklung gewebter Herzklappen.
Benötigen Patienten heute einen Herzklappen-Ersatz, erhalten sie in der Regel künstlich-mechanische oder biologische Herzklappen. Ein Nachteil der mechanischen Lösungen besteht jedoch darin, dass damit eine lebenslange gerinnungshemmende Therapie einhergeht. Biologische Herzklappen hingegen weisen eine deutlich kürzere Lebensdauer auf und erfordern einen hohen manuellen Herstellungsaufwand. Geht es nach dem ITM, soll die mit dem Techtextil Innovation Award ausgezeichnete gewebte Herzklappe hier künftig eine echte Alternative sein.
Entlastung für Kinder mit Herzklappenfehlern
„Unsere Neuentwicklung könnte in Zukunft auch Kindern mit Klappenfehlern helfen“, sagt Aibibu. „Weil sie mit dem Herzen mitwächst, lassen sich so die üblicherweise wiederholten chirurgischen Eingriffe für die kleinen Patienten vermeiden.“ Auf die Frage, ob Medizintextilien beim Messeauftritt des ITM auch abseits der prämierten Herzklappe eine gewichtige Rolle spielten, sagte Textilforscherin Aibibu am Rande der Preisverleihung: „Große Medizinproduktehersteller aus Ländern auf der ganzen Welt kommen regelmäßig auf der Techtextil bei uns vorbei, um sich über neueste textile Materialien, Implantate und Forschung im Bereich Medizintextilien zu informieren.“