Überspringen
Gruppe in Afrika

„Textil hat Tradition in Afrika. Und Zukunft.“

25.03.2024

„Müllhalde für Textilien“ oder Textilmarkt der Zukunft? Ein Textilexperte, der häufig in Afrika unterwegs ist, gibt einen Einblick in die Lage der afrikanischen Textil- und Bekleidungsindustrie.

Wer zur Textil- und Bekleidungsindustrie in Afrika recherchiert, stößt dabei auch auf Artikel wie Europa entsorgt 90 % der Altkleider in Afrika und Asien“ oder „Warum Ghana die Müllhalde von Fast Fashion ist“. In den Beiträgen geht es darum, dass Industrieländer ihre Alttextilien im großen Stil als Second-Hand-Ware nach Afrika exportieren. Weil vieles davon nicht mehr zu gebrauchen ist, landet ein Großteil auf dem Müll, dessen Menge für viele afrikanische Länder immer mehr zum Problem wird.  

Dass dies aber nur eine Seite einer vielfältigen afrikanischen Textilindustrie ist, erleben Menschen, die regelmäßig in Afrika vor Ort sind. Einer von ihnen ist Stephan Rehlen, Gründer und Chef der Firma RFC Consulting. Rehlen ist seit über 30 Jahren als Textilexperte für staatliche Stellen und private Unternehmen unterwegs. Er war lange Zeit in Asien, unter anderem als Ansprechpartner für europäische Modeunternehmen. „Ich habe für bekannte Marken aus Deutschland, Italien und Österreich in Asien die gesamte textile Kette von der Stoffentwicklung bis zum Export begleitet“, sagt Rehlen.

Seit 2007 ist er in Sachen Textil vor allem in Afrika aktiv. Etwa alle zwei Monate erlebt er in Ländern wie Äthiopien, Senegal, Kamerun und Ghana aus nächster Nähe die aktuellen Entwicklungen in der afrikanischen Textil- und Bekleidungsindustrie. Neben Analysen zum Beispiel für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die Entwicklungshilfeprojekte vor allem im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums betreut, kümmert sich Rehlen vor Ort um die Verzahnung afrikanischer Textilfirmen mit internationalen Marken und Einzelhändlern. Zwei Themen beschäftigen ihn dabei besonders: Biobaumwolle und der Aufbau nachhaltiger Lieferketten.

RFC/Stephan Rehlen
Textilexperte Stephan Rehlen (hinten) im Gespräch mit einem senegalesischen Baumwollbauern auf einem Biobaumwollfeld. Foto: RFC/Stephan Rehlen

Biobaumwolle: Marktnische mit global wachsender Nachfrage

Derzeit begleitet Rehlen ein Projekt, das den Anbau von Biobaumwolle in Äthiopien fördert. Auftraggeber ist der Verband Gesamtmasche, der Branchenverband der deutschen Maschenindustrie. „Der Anbau von Baumwolle hat in Afrika schon aus klimatischen Gründen eine lange Tradition“, sagt Rehlen. Zwar habe Afrika beim konventionellen Baumwollanbau im globalen Wettbewerb schlechte Karten, denn Baumwolle werde hier oft noch in kleinbäuerlicher Form angebaut. Doch speziell beim Anbau von Biobaumwolle habe Afrika großes Potenzial. Denn: „Die Anbauflächen sind hier oft noch weitgehend naturbelassen“, sagt Rehlen. Auch werde – Stichwort Nachhaltigkeitweder chemischer Dünger eingesetzt noch Chemie in der Verarbeitung der Baumwollfasern genutzt.

Eine wichtige Voraussetzung für die Zertifizierung als Biobaumwolle. „Viele afrikanische Länder haben mit Biobaumwolle die Chance, in einen zukunftsträchtigen Weltmarkt einzusteigen“, sagt Rehlen. Biobaumwolle aus Kamerun, Burkina Faso und dem Senegal etwa sei bereits nach GOTS zertifiziert, einem international anerkannten Standard für Biofasern. Zwar handele es sich bei Biobaumwolle global gesehen noch um einen Nischenmarkt, doch Länder wie Äthiopien, Tansania und Uganda hätten inzwischen erkannt, dass es sich um eine aussichtsreiche Marktnische mit wachsender Bedeutung handele. Denn schon heute, so Rehlen, übersteige die weltweite Nachfrage nach Biobaumwolle das Angebot deutlich.

Gruppe von Bäuerinnen und Bauern in einer Farmer Field School im Senegal
Gruppe von Bäuerinnen und Bauern in einer Farmer Field School im Senegal während der Ausbildung zum Anbau von Biobaumwolle mit Stephan Rehlen. Foto: RFC/Stephan Rehlen

Kurze Handelswege nach Europa

Was Afrikas Textil- und Bekleidungsindustrie besonders für Europa interessant macht: die kurzen Handelswege auf die europäischen Absatzmärkte. Wie die textile Lieferkette zwischen den beiden Kontinenten in Zukunft transparenter gestaltet werden kann, war Thema eines Projekts, das Rehlen von 2019 bis 2022 in Äthiopien begleitete.

Im Rahmen des – ebenfalls im Auftrag von Gesamtmasche durchgeführten – Vorhabens sollten belastbare Verbindungen zwischen afrikanischen und europäischen Akteuren der textilen Lieferketten für Baumwollgarne, Wirkware und Gewebe aufgebaut werden. „Unser Ziel war es, Strukturen zu etablieren, die den Qualitätsstandards für den Export in europäische Länder entsprechen“, sagt Rehlen.

Zwar habe Corona auch den afrikanischen Textilunternehmen einen Dämpfer verpasst. Damals ging der Konsum von Textilien und damit die Nachfrage weltweit zurück. Die Pandemie habe aber auch gezeigt, so Rehlen, wie fragil globale Lieferwege sein können. „Langfristig sehe ich Afrika hier aufgrund seiner geografischen Nähe als sehr interessanten Partner für Europa.“

Lokal von der Faser bis zur Fertigung

Ein weiterer Vorteil der afrikanischen Textil- und Bekleidungsindustrie, den er hervorhebt: In Afrika ist von der Faser bis zur Verarbeitung alles vor Ort verfügbar. „Der Kontinent profitiert davon, dass hier der Faseranbau und die Textilproduktion lokal sehr nahe beieinander liegen“, sagt Rehlen.

Während der Baumwollanbau vor allem in Westafrika sehr stark sei, seien Textilverarbeitung und Textilproduktion in Ländern wie Ghana, Äthiopien, dem Senegal und an der Elfenbeinküste angesiedelt. Dort werden aus afrikanischen Baumwollfasern Garne und Stoffe hergestellt, gefärbt und zu T-Shirts, Polohemden, Sweatshirts oder Arbeitskleidung weiterverarbeitet. Und das oftmals auf modernster Technik: „Egal ob Weben, Wirken oder Stricken – viele Textilhersteller in Afrika verfügen über einen hochmodernen Maschinenpark“, so Rehlen.

Und auch bei der Textilverarbeitung spielt Nachhaltigkeit in Afrika eine Rolle: So erhalten etwa Färbereien laut Rehlen nur dann eine Lizenz, wenn sie eine Wasserreinigung nachweisen können. „Man will in Afrika die Fehler vermeiden, die man in einigen asiatischen Ländern gemacht hat, wo heute zum Teil viel Geld investiert werden muss, um Flüsse und Gewässer zu reinigen“, erklärt Rehlen.

txp-newsroom-afrika-textile-industry
Blick in eine Bekleidungsfabrik in Äthiopien, in der T-Shirts und Rundstrickstoffe wie Single Jersey, Piqué und Interlock hergestellt werden. Foto: RFC/Stephan Rehlen

Arbeitskräftemangel: In Afrika kein Thema

Ein Problem, das vielen Textilunternehmen in Europa, aber längst auch in asiatischen Ländern Kopfzerbrechen bereitet, ist der Arbeitskräftemangel. Weil der demografische Wandel vielerorts unaufhaltsam voranschreitet und die Geburtenraten dauerhaft niedrig sind, kämpfen viele Konfektionsbetriebe, Webereien und Färbereien schon heute mit Personalnot.

In Afrika ist das kein Thema. So schreibt die „New York Times“ unter Berufung auf den U.N. World Population Prospect 2022, dass bis 2050 mehr als ein Drittel der jungen Weltbevölkerung zwischen 15 und 24 Jahren auf diesem Kontinent leben könnte. Manche, so die US-Tageszeitung, sprechen bereits von einem "Jugendbeben". Laut CNBC Africa könnte die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bis 2035 um 450 Millionen Menschen wachsen. „Hier punktet das textile Afrika“, sagt Rehlen, „denn die Textil- und Bekleidungsindustrie bietet viele Beschäftigungsmöglichkeiten“. Längst betreue er vor Ort Projekte rund um die textile Ausbildung junger Afrikanerinnen und Afrikaner.

„Hier geht es darum, junge Menschen in der textilen Produktion, Qualitätssicherung und Ausrüstung zukunftssicher auszubilden.“ Das stärke nicht nur die afrikanische Textil- und Bekleidungsindustrie, sondern helfe zugleich auch im Kampf gegen die Textilmüllschwemme, ist Rehlen überzeugt. „Importierte Altkleidung ist ja oft noch deutlich billiger als Kleidung, die in Afrika selbst hergestellt wird.“ Danach gefragt, wie sich die afrikanische Textil- und Bekleidungsindustrie aus seiner Sicht entwickeln wird, bringt Rehlen es so auf den Punkt: „Textil hat nicht nur Tradition in Afrika. Sondern auch Zukunft.“

Textilmessen in Afrika

Die Africa Sourcing and Fashion Week (ASFW) (Texworld, Apparel Sourcing und Texprocess Addis Ababa (licensed to Trade and Fairs East Africa Ltd.)) ist die größte Textilmesse Afrikas. Einmal im Jahr bildet sie die gesamte Wertschöpfungskette von der (Bio)Baumwolle über die Textiltechnologie bis hin zur fertigen Mode „made in Africa“ ab.

Die ASFW ist stark auf die Förderung von Nachhaltigkeit ausgerichtet und Partner der Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen. In diesem Jahr (8.–11. November in Addis Ababa) werden rund 400 Aussteller und 7.000 Fachbesucherinnen und Fachbesucher aus über 60 Ländern erwartet.

Die Allfashion Sourcing Cape Town (10. – 12. September 2024) ist die erste Anlaufstelle für Textilenthusiasten, Modeliebhaber und Fertigungsexperten, die im Rahmen des größten Textil- und Fashion Hubs in Südafrika zusammenkommen, Innovationen entwickeln und die Zukunft der Branche gestalten. Als businessorientierter Treffpunkt für die Textil- und Modeindustrie verbindet die Allfashion Sourcing afrikanische Kreativität, Design und Produktion mit internationalen Sourcing-Möglichkeiten.